Quasikristalle: Roman (German Edition)
Schule, nach dem Leben, früher, bei der Oma. Ob das regelmäßige Wechseln zwischen Papa und Oma anstrengend gewesen sei.
Schon okay, murmelte Viola.
Verstehe, sagte Lisa.
Viola sah sie an.
Na wenn man nichts anderes kennt, sagte Lisa und lachte wieder.
Später saßen sie auf der Wiese. Lisa streifte die Schuhe ab. Viola sollte das Feuerzeug hochhalten, und Lisa schnappte es ihr mit den Zehen weg. Sie hatte große Abstände dazwischen, offenbar konnte sie deshalb damit greifen wie mit einer Hand. Wie ein Schimpanse, sagte Viola.
Im Vergleich dazu wirkten ihre eigenen Füße tot. Lisa lehnte sich quer über ihre Beine und zog ihr die Schuhe aus. Das war ihr unangenehm, sie versuchte, sich nichts anmerken zu lassen. Xane nörgelte in letzter Zeit, sie sei eine schreckliche Erbsenprinzessin geworden; Lisa gegenüber, nach der sie sich so lange gesehnt hatte, wollte sie auf keinen Fall so wirken.
Du hast die Füße deines Vaters, stellte Lisa fest, geeignet nur zum normalen Gebrauch. Aber sei froh, das Ungewöhnliche macht meistens nur Probleme. Schau mich an.
Hast du einen Freund, fragte sie und streckte ihr wieder die Zigarettenschachtel hin. Viola schüttelte den Kopf.
Aber verliebt bist du? Du bist bestimmt verliebt, gib es zu!
Also gab sie es zu. Den Blick auf ihre unflexiblen Zehen gerichtet, erzählte sie von diesem Alex, den sie seit einer Weile aus der Ferne beobachtete, und es war überraschend leicht, fast als säße bloß ihre Freundin Siri neben ihr. Lisa hörte zu und gab ihr Tipps, das war irgendwie cool. Sie behauptete mit Nachdruck, dass die Jungs genauso viel Angst hätten wie die Mädchen, wenn nicht noch viel mehr. Überrasch ihn, zeig dich, das macht dir keine nach, feuerte sie sie an, die Mädchen, und nicht nur in deinem Alter, sind alle zu feige, immer auf ihre lächerliche Frauenwürde bedacht. Da hielt Viola es für möglich, einfach hinzugehen und den Typen anzusprechen.
Und das klappte, nur ein paar Tage später. Hi, sagte sie und blieb auf dem Schulhof wie zufällig vor ihm stehen, was hörst du da?
Er zog langsam den weißen Knopf aus seinem Ohr und hielt ihn ihr hin. Jetzt musste sie ziemlich nahe an ihn ran, das Kabel war nicht lang und verschwand unter seiner Jeansjacke. Er roch nach Rauch und Wollpullover. Sie fürchtete, dass sie zu seiner Musik nichts Angemessenes sagen könnte, doch dann hörte sie die Stimme und diese kratzigen Gitarrenakkorde, und ihr Gesicht veränderte sich von selbst, genau beobachtet von diesem Alex.
Waaahn-sinn, sagte sie, mit Betonung auf der zweiten Silbe, das muss ich haben.
Kannst du jederzeit kriegen von mir, gebrannt oder vom Stick, wie du willst, sagte er. Und schon waren sie verabredet.
Kim, Siri und Teresa flippten fast aus vor Bewunderung. Wie sie das gemacht hatte, verriet Viola nicht. Stattdessen ließ sie wie nebenbei fallen, dass sie ihre echte Mutter wiedergetroffen hatte. Kim fand das krass. Sie wollte genau wissen, wie Lisa aussah, ob Viola irgendetwas wiedererkannt hatte, ob sie sich umarmt hatten. Teresa reagierte kühler. Sie fand, dass Violas Mutter sich erst einmal hätte entschuldigen müssen. Ich meine, wie lang war die weg? Über zehn Jahre?
Aber das war eigentlich logisch, denn Teresa, die hatte so eine schlimme Gluckenmutter und schien das noch zu genießen. Witze von anderen darüber prallten an ihr ab. Wieso, wir verstehen uns eben gut, sagte sie, ihr streitet mit euren Müttern doch aus Prinzip. Viola fand das nicht normal, aber zumindest war es das Einzige, was an Teresa komisch war. Einmal gingen sie ins Kaufhaus klauen, da blieb Teresa am coolsten. Sie machte nichts mit ihren Taschen oder schaute sich ängstlich um, sie versuchte nicht, wie die hysterische Siri, die toten Winkel der Überwachungskameras zu erraten, nein, sie nahm eine scheußliche pinke Kosmetiktasche, trug sie gut sichtbar in Richtung Kasse, und dann einfach daran vorbei, ins Freie. Total selbstsicher, als ob sie sie bezahlt hätte. Nein danke, wir haben wirklich schon genug Tüten zu Hause. Das war Xane im O-Ton, dieser Ökonazi von Stiefmutter. Viola, die Taschen voller Gummischlangen, kam hinter Teresa aus dem Kaufhaus, dachte an diesen Satz und hätte sich fast totgelacht.
Als sie dahinkam, ins Europacenter, war Alex noch nicht da, dafür ein paar der anderen, die meistens auf dem Schulhof mit ihm abhingen. Damit hatte sie nicht gerechnet, aber klar, welchen Grund hätte er haben sollen, sich mit ihr allein zu treffen? Die anderen redeten
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