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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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ihren Handflächen Omas Schulterblätter und hielt sich dabei gerade. Oma benahm sich wie ein liebestolles Kälbchen. Ihre Haare waren verlegt, hinten klaffte Kopfhaut. Viola verdrehte die Augen. Sie hielt weiterhin die Tür offen. Sie überlegte, ob sie sie zufallen lassen, Emmy den Job hier machen lassen und draußen warten sollte. Dann sah sie das Bild. Bisher hatte Robert Redford über dem kleinen Tisch gehangen, Oma war glühender Robert-Redford-Fan. Musste man sagen: Gewesen? Als sie noch halbwegs bei Verstand war, hatten Emmy und sie diese signierte Autogrammkarte im Internet besorgt, zum Geburtstag oder zu Weihnachten: For Anke, best, Robert . Ob die echt war, konnte kein Mensch sagen. Aber die Oma hatte sich so gefreut! Deshalb bat Emmy Papa um einen Rahmen und hängte sie an zentraler Stelle auf. Und als Oma ins Heim zog, kam Redford mit.
    Jetzt war er weg, nein, nur umgehängt, näher am Fenster. Über dem Tisch hing ein größeres Bild, das Viola noch nie gesehen hatte. Zweifellos zeigte es Emmy und sie als kleine Kinder, zusammen mit – ihrer Mutter. In Großaufnahme strahlten sie in die Kamera, das heißt, das fette Baby, das Emmy sein musste, hatte, passend zu seiner unfassbaren Glatze, einen Schnuller im Mund und strahlte daher am wenigsten, aber Lisa und Viola strahlten, Wange an Wange, um die Wette. Leicht auszurechnen, wer das Bild gemacht hatte, wer ihnen von der anderen Seite entgegenlächelte. So war das also einmal gewesen. Ihr Brustkorb fühlte sich hohl an, und dieses neue Begreifen rollte darin hin und her wie ein Basston bei einem Konzert.
    Emmy ließ Oma los und sah in dieselbe Richtung. Wo kommt das Bild her, Oma, fragte sie, und Oma gurrte, aber das hast du mir doch gebracht, mein kleiner süßer Liebling.
    Ich habe ja ihre Nummer, soll ich sie anrufen, sagte Viola zu Emmy, als sie durch die Korridore hinausgingen. Emmy schaute vor sich hin und zuckte die Schultern. Mir egal, sagte sie.
    Willst du nicht doch, fragte Viola, sie ist sehr … Ich will nicht, unterbrach Emmy, lass mich in Ruhe. Sie ging schneller, Viola ließ sie ziehen, sie fand es seit einiger Zeit uncool, sich allzu schnell zu bewegen. Heb die Füße beim Gehen, du schlurfst wie ein Penner . Da saßen die Alten bei offenen Türen vor ihren fleischigen Topfpflanzen und wussten nicht mehr, wer sie waren. Ein fast zahnloser Mann winkte ihr zu. Viola wandte den Kopf ab. Ein gruseliger Ort.
    Draußen schien die Sonne. Hinter der Glasscheibe kam ihnen Papa entgegen, verlässlich zur Stelle in seinem Trenchcoat, und zu Hause hatte Xane endlich wieder Zeit gefunden, Rinderrouladen zu machen, mit Kartoffelpüree, das konnte sie wirklich ziemlich gut.
    Lisa war nicht zu erreichen, da war immer nur ihre Mailbox, nicht personalisiert, Computerstimme. Viola hinterließ keine Nachricht, wer weiß, ob die Nummer stimmte. Nach dem Besuch bei Oma war sie ein, zwei Tage lang aufgeregt und versuchte es immer wieder, dann wurde sie trotzig und hörte auf. Um ein Haar hätte sie die Mathearbeit vergessen, doch um richtig zu lernen, war es trotzdem zu spät. Da sie glatt auf Vier stand und selbst mit Lernen wohl keine Zwei geschrieben hätte, war es so gut wie egal. Die Klassenlehrerin machte Stress wegen der Entschuldigung von letzter Woche, Viola zuckte die Schultern und murmelte etwas von morgen, bestimmt.
    Auf dem Hof stand sie jetzt immer bei Alex und den anderen. Ihre Freundinnen drückten sich in der Nähe herum und waren auf eine unterwürfige Weise verstimmt. Manchmal brummte der verrückte Theo, und jetzt, Kameraden, Zigarette marsch, und alle taten so, als würden sie aus der hohlen Hand rauchen, von den Lehrern abgewandte Blicke, kichern, etwas auf den Boden werfen und mit der Schuhspitze austreten. Leider war nicht Winter, wegen des Atemhauchs. Die Lehrer ignorierten das Getue. Aber wenn wirklich einer geraucht hätte, wären sie bestimmt ganz schnell zur Stelle gewesen.
    Das mit dem Kino war für Freitagnachmittag geplant; Alex fragte, ob sie sich schon mittags treffen wollten, allein. Klar, sagte Viola, scheiß auf die Schule, und Alex lachte. Das eine Lied von seiner CD konnte Viola inzwischen auswendig, sie hatte ihm noch nicht gesagt, wie sehr sie es mochte. Das nahm sie sich für das erste richtige Treffen vor. Dass sie es hundertmal am Tag hörte, dass sie mit dem iPod einschlief. Dass es nicht Alex’ Stimme war, war ihr egal, die Stimme klang genau so, wie Alex aussah, blass, traurig, schön: We might die from

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