Quasikristalle: Roman (German Edition)
wurden nach Plan ausgelöst, es war laut, grell und ziemlich realistisch. Ich frage mich inzwischen, wo der Unterschied gelegen hätte, für den Fall, dass Mor mich wirklich betrogen hätte. Wir erschraken, wir löschten und wir liebten uns, verzweifelt, aufs Neue völlig aufeinander bezogen, als hätten wir eine echte Katastrophe überstanden.
Mein Doktorandinnen-Nerv blieb lange Zeit empfindlich. Inzwischen ist auch diese Dame nicht mehr blutjung und hat Karriere in einem Verlagshaus gemacht. Wenn die Rede auf sie kommt – irgendwo, in Gesellschaft, denn unter uns erwähnen wir sie kaum –, trifft mich ein schmaler Blick von Mor. Und trotzdem sage ich mit der immergleichen, etwas gelangweilten Attitüde: Sehr intelligent, durchaus hübsch, aber v-ö-l-l-i-g humorlos.
Einigen engen Freunden habe ich diese Geschichte als Beweis für meinen immanenten Wahnsinn erzählt; in zweiter Linie, knusprig durchironisiert, auch als Anekdote meiner Affenliebe zu meinem Mann. Damit habe ich aufgehört. Die Leichtigkeit, die ich durch den zeitlichen Abstand gewonnen hatte, ist aufs Neue verloren gegangen. Ich verstehe heute viel genauer, worum es damals gegangen ist und warum ich, scheinbar ohne Grund, dermaßen die Nerven verloren habe.
Frauen haben ein Ablaufdatum, Männer nicht. Das lässt sich beweisen. Zum Beispiel damit, dass Männer auf Kontaktanzeigen mindestens zehn Mal so viele Zuschriften bekommen. Mor will das nicht verstehen; es gebe ungefähr gleich viele Männer wie Frauen. Ja, schon: Aber dem siebzigjährigen Witwer schreiben auch fünfzigjährige Damen, umgekehrt aber leider nicht. Männer bleiben nicht allein, nicht einmal, wenn sie Sadisten sind oder an der Stinknase leiden.
Während wir gebildeten, sogenannten starken Frauen mit jedem Jahr, das wir älter werden, unvermittelbarer werden. Durch ganz Europa ziehen Grüppchen von eisgrauen Frauen in freundlich bunten Stoffen, sie aquarellieren vor der Akropolis, sie diskutieren über Alice Munro, sie pflegen ihr philharmonisches Abonnement. Sie sind stark und unabhängig, klug und lebenstüchtig, und sie haben in Therapien viel über sich gelernt. Sie hätten noch so vieles zu geben, bis auf ihre Würde eigentlich das meiste. Trotzdem finden sie nie mehr einen Mann, wenn sie den einen oder anderen dummerweise verlassen haben oder ihnen einer vor der Zeit weggestorben ist.
Das ist die Wahrheit, so sieht es aus. Ich will bestimmt nicht die Vergangenheit verklären. Früher hat man mit Sicherheit den Falschen, weil den Allerersten, geheiratet, aber man musste zusammenbleiben. Dafür sorgte eisern die Konvention. Heute kann man wählen und sich immer wieder trennen, doch für das Alter ist nicht mehr vorgesorgt. Das ist eine Erkenntnis, die einem mit den Jahren bedrohlich zuwächst. Wenn man umgeben ist von Freundinnen, die entweder verzweifelt suchen, bei unterdurchschnittlichen Langweilern geblieben sind oder, wie Krystyna, sich plötzlich gierig ihr Stück vom Abenteuer holen, weil vielleicht bald alles vorbei ist.
Eine Wahnsinnsfrau – das sagen wir über diese in sich ruhenden, beißend witzigen Älteren, diese bewunderten Großmutter-Ikonen unserer Gesellschaft, die gut sind für Matineen und Interviews in den Wochenendbeilagen. Grobkörnige Schwarz-Weiß-Porträts. Sie sprechen und denken von einem Olymp innerer Freiheit hinab, aber sie sind ausnahmslos allein. Da gibt es die würdige alte Verlegerin, deren Ex-Mann, was seine aktuellen Gefährtinnen betrifft, inzwischen in der Enkelgeneration wildert. Es gibt die berühmte Malerin, die ihren kongenialen Bildhauer vor Jahren bis zum Ende gepflegt und danach keinen mehr gefunden hat. Den einen oder anderen hätte sie durchaus gewollt, aber es hat sich keiner getraut. Man will weder der Nachfolger des großen X noch der Mann in der zweiten Reihe sein. Wo junge Frauen so viel weniger Arbeit sind, unkomplizierter, formbar.
Und es gibt die Schauspielerin mit der rauchigen Stimme, der die Silberfäden in der ehemals kohlschwarzen Mähne eine noch dramatischere Ausstrahlung verleihen als je zuvor. Sie, so hört man, habe neuerdings einen weiblichen Partner. Das ist ein komplizenhaft beschwiegener Ausweg, der dennoch ein wenig nach Niederlage schmeckt.
Bemannte Frauen schaffen es selten in die Liga der Wahnsinnsfrauen. Sie wissen, dass sie es nicht verdienen, und sie wünschen es gar nicht. Eine zertifizierte Wahnsinnsfrau zu sein ist nur der Trostpreis. Es nützt nicht einmal den eigenen Kindern, so man
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