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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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lange, bis der andere gegangen war. Man lässt keinen Sterbenden allein! Aber so dramatisch benimmt sich keiner, es sei denn, es ist ein Angehöriger. Wie gut also, dass man es nie mit Sicherheit sagen kann. Das sagen einem auch die Ärzte und Schwestern: Vielleicht in ein paar Stunden, vielleicht hält er noch ein paar Tage durch. Man kann es nie genau sagen.
    Deshalb verabschiedet man sich jedes Mal so, als gäbe es ein nächstes. Das ist doch eigentlich ganz schön.
    Aber Eli hatte gewusst, was los war. An seinem Blick hatte er es gesehen. Rückblickend war Kurt froh, dass er nicht mehr sprechen hatte können. Er hätte gar nicht hören wollen, was Eli ihm noch zu sagen gehabt hätte. Eli war ein Mann der klaren Worte gewesen. Ha, das war das Mindeste, was man über ihn sagen konnte. Oft genug, fand Kurt, war er über das Ziel hinausgeschossen. Andererseits wäre er sonst nie zu einer Figur der Zeitgeschichte geworden, mit Einfluss und Strahlkraft. Sein alter Freund Eli. Mit Nachrufen bis in die ›New York Times‹.
    Wenn du verstanden und gehört werden willst, kommst du mit dem taktvoll Ausbalancierten nicht weiter! Das war auch Xanes Credo, wie man ihren Arbeiten von Anfang an leider allzu genau ansah. Die Menschen verstünden nur die Übertreibung, predigte sie in ihren wilden Zwanzigern. Deshalb sei in der Kunst absolut alles Übertreibung, nicht bloß in der Oper. Auch in der kleinsten Kammermusik müsse jedes Crescendo und jedes Diminuendo übertrieben ausgeführt werden, ja, fortissimo und pianissimo seien bereits unnatürliche Zuspitzungen. Die Welt sei nun einmal nicht kongruent mit der Mittellage, die er, Kurt, so schätze.
    Das mochte ja sein. Aber dass man, wenn man schon unbedingt ein Kruzifix für seinen Kurzfilm brauchte, es vom eigenen Hausherrn ausborgen musste, fand Kurt – unvernünftig. Das hätte sich sicher anders lösen lassen. Wie peinlich das gewesen war! Eine gemeinsame Bekannte von ihm und diesen Hietzinger Herrschaften hatte ihm wortreich von deren Entsetzen berichtet, als sie ihren wertvollen Jesus im Fernsehen sahen, unterlegt mit Popmusik.
    Na und, hatte Xane gewütet, es ist ja nicht dabeigestanden, dass er den Tschochs gehört. Aber du hältst ja immer zu allen anderen, nur nicht zu deinen Kindern!
    Ob diese Leute noch lebten? Eli hatte etwas über sie gewusst, Kurt hatte vergessen, was. Vermutlich nichts Ehrenhaftes.
    Als er sich bei seinem letzten Besuch erhob, streckte Eli die Hand nach ihm aus. Er trat zurück ans Bett, nahm die Hand und drückte sie. Er machte sein normales, etwas besorgtes Freundesgesicht, in das er sogleich einen Schuss Aufmunterungslächeln mischte. Man konnte auch mit dem Gesichtsausdruck lügen, genauso grell wie mit einer Geschichte. Eli sah ihn an, auf eine Weise, die einfach nur schrecklich war. Er lächelte weiter, unbestimmt, abwaschbar. Er war zu feige. Eli wollte von ihm, dass er aussprach, was Eli dachte. Dass es gesagt sei, im Sinne von Tapferkeit und Aufklärung. Typisch Eli. Kurt drückte Elis Hand, nickte begütigend und wandte sich zur Tür. Dass da noch ein Geräusch gewesen war, in seinem Rücken, bildete er sich wahrscheinlich ein. Aber dass niemand sterben wollte, und am wenigsten diejenigen, denen der Tod bereits an die Gurgel griff, das war ihm seither unumstößlich klar. Von der Sache mit der Angst ganz zu schweigen.
    Kurt war froh, dass er vorbereitet war. Dass er sich keine Illusionen machte. Andererseits hatten all die Illusionen natürlich einen Zweck, einen wärmenden, weichen. Er dagegen lebte jetzt weiter mit seinem drückenden Wissen.
    Er lebte in seinem gewohnten Rhythmus, tagein, tagaus. Er war wirklich überraschend gesund, von ein paar kleinen Wehwehchen abgesehen. Er erinnerte sich an das meiste, jedenfalls an das Wichtige, Alzheimer war per Gentest ausgeschlossen, die Vignette an seiner Tür war grün, er nannte das im Spaß: Pflegestufe minus eins, nur alt. Er hörte noch recht gut. Er hatte eine Lesebrille, schließlich gab es beinahe niemanden, der keine hatte. Das Haus war professionell verwaltet, es war auch nicht billig. Die Mädchen aus Griechenland und Portugal waren freundlich, es gab keinen Grund zur Beschwerde. Das Essen war anständig, obwohl er immer öfter etwas zurückgehen ließ. Die Portionen wurden ihm zu groß. Man brauchte ja immer weniger.
    Aber jedes Mal, wenn der nächste Wochenspeiseplan kam, gab es ihm einen Stich. Die Wochen gingen herum, mehr oder weniger ereignislos, ohne dass er sich je

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