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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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immanenten Widerspruchsgeist des Menschen erklären lasse. Er gab einen blitzschnellen Abriss über zehn Dinge, die in den letzten Jahren erst vom Himmel gefallen und dann vom Erdboden verschluckt worden waren. Wo sind sie jetzt? Irgendwo unter uns, begraben, vermodert und vergessen, aber nur so lange, bis einer sie in schlau abgeänderter Form wieder hervorholt und tut, als hätte er sie, als immens kreative Leistung, gerade erst erschaffen.
    Die Dingwelt verändert sich gar nicht so sehr, beschwor Martin seine Kollegen, es verändern sich nur die Botschaften. Botschaften hat es immer gegeben, und es wird immer Botschaften geben, aber wie verschlagene Lebewesen wechseln sie ständig die Kanäle. Sie haben eine Tendenz, sich aufzublähen und im nächsten Moment zu versickern. An uns liegt es, die Botschaften von den Dingen herzuleiten, anstatt sie ihnen aufzupropfen. In Martins Ohren rauschte es. Er war glücklich und vollkommen bei sich. Er spürte, dass er Menschen fesseln konnte. Sekundenkurz blitzte seine Zukunft vor ihm auf: Hier würde alles begonnen haben, mit seiner ersten großen Rede im düsteren Besprechungsraum der damals noch winzigen Agentur ROX. ROX, der wendige Straßenköter unter den Berliner Agenturen. Wider die Spezialisierung, wir erfinden den Generalisten neu. Wir sind klein, aber wir schöpfen aus dem Vollen. Wir können Internet, aber wir haben auch Theatermaler, Laserkünstler, Komponisten. Brauchen Sie etwas, das aussieht wie früher die Zeichentrickfilme? Brauchen Sie ein Blasmusikorchester für Ihre Werbung? Er bemerkte die überraschten Gesichter seiner Kollegen. Er war sich seiner Sache sicher. Alles fügte sich organisch. All die Jahre hatte er überlegt und nachgedacht, jetzt war er fast am Ziel. Eine Kampagne für Fidelion war genau das, worauf er immer gehofft hatte. Es bedeutete, das Unmögliche möglich zu machen. Die zerbrochenen Hälften zu versöhnen. Jetzt musste er die Kollegen nur noch auf seine Partisanentaktik einschwören. Denn Fidelion, das war ja im Grunde der Feind, die gehörten zu einem Weltkonzern, der so viel Geld hatte, dass er alle nennenswerten Agenturen mit einem steten warmen Pitch-Regen bewässerte, der sich nach langen, kostspieligen Auswahlrunden hier ein bisschen PR und dort ein wenig Webdesign kaufte und dafür sorgte, dass niemand echte Kriegskampagnen gegen ihn führte. Wenn man die knackte, hatte man sie alle. Wer Fidelion ein neues Auftreten zu verpassen imstande war, veränderte letztlich die Welt.
    Als er endete, war es still. Dann begann Topic zu klatschen, langsam und laut, mit seinen Affenpranken. Niemand klatschte mit. Die Molin betrachtete ihre Fingernägel und sagte, Ossi, hör sofort damit auf. Topic hörte auf. Martin, der sich fühlte, als wäre er zu tief getaucht, ging zu seinem Platz zurück und bemerkte, dass Topics Kopf noch röter war als sonst, ja, dass es beinahe so aussah, als ob ihm die Augen feucht geworden wären. Das habe ich nicht gewollt, dachte Martin, demütigen wollte ich ihn nicht, ich bin nicht wie er. Aber da sagte die Molin leise, mit einer Stimme, an die sich Martin später als an einen sirrenden Pfeil erinnern würde, Herr Kummer, hier liegt ein Missverständnis vor. Wir pitchen nicht bei Fidelion, unser Thema heute war eigentlich die Vivus-Versicherung.
    Aus Topics Ecke ein einzelner Lachbrüller. Wir haben noch nie bei Fidelion gepitcht, und wir werden nie bei Fidelion pitchen, Kummer, röhrte er, obwohl die Chefin abwehrend den Arm hob, denn sogar wenn sie uns einladen würden – was weder du noch ich je erleben werden –, gehen wir aus Prinzip nicht hin, Kummer! Und wenn du das noch immer nicht verstanden hast, dann frage ich mich, was du überhaupt …
    Frau Molin schlug mit der flachen Hand auf den Tisch. Topic war still. Dann stand sie auf und sagte, Herr Kummer, kommen Sie bitte mit in mein Zimmer.
    Martin nahm Sabinas Hand, hielt sie unterhalb seines Nabels fest und sagte, Liebling, das mit der Terrasse werden wir wohl ein wenig verschieben müssen. Ich werde kündigen.
    Aber warum das denn, rief Sabina, ich habe geglaubt, es läuft alles gut für dich bei ROX?
    Für mich, mein Schatz, läuft ohnehin alles gut, versicherte Martin strahlend, aber ROX ist leider ein unprofessioneller Drecksladen. Insofern habe ich einen Fehler gemacht.
    Na ja, sagte Sabina, von außen kann man es nicht so genau beurteilen. Aber du wolltest immer für die Molin arbeiten, du hast gesagt, die Frau hat wirklich was

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