Quasikristalle: Roman (German Edition)
sich an die Bar und bestellten Prosecco. Das vertrug sich zwar schlecht mit Kurts Magen, aber er wusste, es war die beste Möglichkeit, Xane aufzutauen. Als sie anstießen, fragte er: Und, wann kommst du das nächste Mal?
Xane machte Falten. Papa, ich bin gerade erst angekommen! Und du tust so, als würden wir uns schon wieder verabschieden.
Ja, sagte Kurt, ein wenig verstimmt, aber wenn du erst einmal da bist, dann geht es immer so schnell vorbei.
Der Kommerzialrat Holaubek betrat das Lokal. Blicke huschten zu ihm hin und wieder von ihm weg; sein Bruder war kürzlich bei einem mysteriösen Vorfall auf den Philippinen verhaftet worden. Kurt hatte früher gelegentlich mit dessen Vater Karten gespielt – das hieß, dieser dicke Glatzkopf musste ungefähr in Xanes Alter sein? Unglaublich. Nein, dachte Kurt, der Mensch wird allgemein nicht schöner im Laufe des Lebens, aber bei manchen ist die Verschlechterung stupend.
Gerade, als er Xane zuflüstern wollte, was alles Schreckliches über den jüngeren Bruder in der Zeitung gestanden war, kam Holaubek auf sie zu.
Ja, grüß Sie Gott, rief er, der Herr Molin, fit und jugendlich wie eh und je! Mein lieber Herr Vater hat so oft von Ihnen gesprochen …
Freut mich, sagte Kurt, darf ich Ihnen meine Tochter vorstellen?
Holaubek reichte Xane die Hand. Das Fräulein Tochter, säuselte er, habe die Ehre, der ganze Stolz des Herrn Papa, nehme ich an, nicht wahr? Kein Wunder. Man hat ja viel gehört von den interessanten Aktivitäten … Wieder einmal auf Besuch in der alten Heimat, ja? Immer wieder herrlich, unser schönes Wien, nicht wahr?
Xane entzog ihm ihre Hand, die er etwas länger festgehalten hatte, und steckte sie in die Jackentasche.
Und, fragte Holaubek, immer noch zufrieden dort draußen, bei den …
…Piefkes, platzte Xane heraus.
Holaubek lachte. Das haben Sie gesagt!
Sehr glücklich und zufrieden, danke der Nachfrage, Herr Kommerzialrat, sagte Xane, diese Piefkes – glauben Sie mir, wenn man sie erst einmal näher kennt, sind sie einfach wunderbar.
Holaubek lächelte, nickte und entschuldigte sich, er hatte noch andere Bekannte zu begrüßen.
Wie du das aushältst, sagte Xane.
Wieso, was denn, fragte Kurt, was hat dir jetzt schon wieder nicht gepasst? Das war doch recht nett…
Recht nett, fragte Xane, das war so nett, wie in Eierlikör zu ertrinken.
Kurt schloss einen Moment die Augen. Jetzt ging das wieder los. An der Sache mit dem Selbsthass war doch etwas dran. Jüdischer Selbsthass, österreichischer Selbsthass, er hatte das nie genau verstanden, aber seine Kinder, beide, immer taten sie, als ob man ihnen dauernd, auf Schritt und Tritt… Woher sie diese Wut hatten. Er verstand es einfach nicht.
Möchtest du gehen, fragte er.
Aber geh, sagte Xane und legte ihm kurz die Hand auf den Arm, ich trink sehr gern noch ein Glas mit dir. Und schau, da drüben wird gerade ein Tischerl frei.
Xane bestellte einen Teller mit Jour-Gebäck für zwei, legte ihr Handy neben sich auf die Bank und musterte es.
Erwartest du einen Anruf, fragte Kurt.
Xane sah ertappt drein. Nein, sagte sie, aber die Kinder, falls sie sich melden, dann könnten sie vorbeikommen…
Warum rufst du sie nicht an und sagst, wo wir sind, fragte Kurt.
Ach, ich lass sie lieber in Ruhe, sagte Xane, nahm das Telefon und schob es in die Handtasche.
Na, Papa, und wie geht es dir so insgesamt?
Dieser Frage konnte Kurt nicht widerstehen. Wer weiß, wann man wieder, so halbwegs in Ruhe, zusammensitzen würde? Er holte weit aus, er sprach schnell, versuchte, nichts zu vergessen. Das Farbproblem mit dem Touchscreen an der Tür seines Appartements, das offenbar irreparabel war. Ausgerechnet blau und grün waren kaum mehr zu unterscheiden, dabei sollte er aus dem Angebot des Wochenspeiseplans vor allem blaue Speisen wählen, nur wenige grüne, auf ärztlichen Rat. Davon abgesehen konnte es ihm ja egal sein, das Kulturprogramm nahm er kaum in Anspruch, und das suchte er ohnehin nach Inhalt oder Titel aus. Aber der Speiseplan! Oder kann man im Alter noch farbenblind werden? Xane möge außerdem unbedingt sein Konto überprüfen, er habe das Gefühl, er gebe zu viel Geld aus. All diese Abbuchungen, er hatte völlig den Überblick verloren. Es gab nur noch diese Codes, die ihm nichts sagten. Früher war der Firmenname des Abbuchers angegeben gewesen, da hatte man noch gewusst, das ist das Zeitungsabo, das das Essen, das die Stromrechnung, aber inzwischen, eine Katastrophe, muss sich wirklich
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