Quasikristalle: Roman (German Edition)
ein Schweizer Fabrikat, Xane war wie gebannt stehengeblieben. Er kaufte sie ihr sofort, obwohl sie wegen des Preises protestierte. Es war ein Spaß gewesen, diese riesige runde Herrenuhr mit dem elfenbeinweißen Zifferblatt an ihrem dünnen braunen Arm. Wie ein übergroßer Knopf, denn vom edlen Lederband sah man fast nichts, so eng musste sie es ziehen. Nachher legte er ihr auf der Straße den Arm um die Schultern, schaute sie verliebt an und machte den alten, hundertfach gebrauchten Witz: Das raffinierte Luder…
… hat sich den alten Millionär geangelt, ergänzte Xane. Und dann lachten sie ausgelassen. Sein kleines Mäderl und er.
Sie hatte die Uhr lange gehabt, wahrscheinlich länger als zehn Jahre. Sie würde wissen, wie lange. Manchmal sagte sie, schau, auf dem Foto, da hab ich die Uhr noch. Dann war sie ihr bei einer Reise ins Wasser gefallen, in einen See oder ins Meer, sie hatte ihn am selben Tag angerufen, untröstlich.
Ich kauf dir eine neue, hatte er beschwichtigt, die muss es noch geben.
Ach Papilein, hatte sie gejammert, das ist nicht dasselbe.
Amos war aufs Neue eine Enttäuschung. Jedes Mal freute sich Kurt zaghaft auf diesen Enkel, den späten, letzten, die große Überraschung, als man die Hoffnung für Xane fast aufgegeben hatte. Er war so ein besonders süßes Kind gewesen, mit blonden Locken, Kurt hatte ihm Schach beigebracht, und sie hatten sich augenzwinkernd gegen Helga verbündet, die ihn am liebsten jeden Abend in die Badewanne gesteckt hätte.
Er wird Schwimmhäute kriegen, rief Kurt, das fand Amos lustig, so unglaublich lustig, dass er den goldflauschigen Kopf in den Nacken legte und die Augen schloss, vom Lachen überwältigt.
Vor geraumer Zeit war aus diesem vergnügten Engel ein schlaffer, melancholischer Junge mit zu langen Gliedmaßen, unreiner Haut und undefinierbarer Haarfarbe geworden. Natürlich, die Pubertät, aber würde Kurt den Schmetterling überhaupt noch erleben? Er hatte ihn zur Begrüßung nach seinen Hobbys gefragt, nach Interessen und Lieblingsfächern, und ob er noch Schach spiele. Amos hob die Schultern, als ob er das selbst nicht wüsste, lachte verschämt und schaute zu seiner Mutter.
Wir schlafen derzeit vor allem, sagte Xane im Krankenschwestern-Plural, wir essen, wir schlafen, und wir hören Musik, und in ein, zwei Jahren wachen wir dann hoffentlich wieder einmal richtig auf. Dann gab sie ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und entließ ihn, und Amos trollte sich erleichtert zu seinen älteren Cousins.
Im Restaurant weigerte sich Kurt, am Kopfende des Tisches Platz zu nehmen. Auch genau in die Mitte, wo Blumen standen, wollte er nicht.
Kein Theater, bat er, Kinder, bitte, kein Theater, und konnte sich selbst nicht erklären, was ihm in diesem Moment so unangenehm war.
Daher standen erst einmal alle im Weg herum, dahinter mehrere Kellner, höflich wartend mit den Speisekarten.
Xane schüttelte den Kopf und übernahm den Vorsitz. Komm her, Papa, sagte sie, setz dich zu mir, damit etwas weitergeht.
Typisch, sagte Albert und grinste, unsere Frau Präsidentin.
Xane verdrehte die Augen und winkte Alberts Freundin an ihre andere Seite. Man kannte sie noch kaum. Sie war viel jünger und sah aus wie ein Fotomodell, aber Kurt vermisste seine Ex-Schwiegertochter, die so herzlich lachen konnte. Er hatte darauf bestanden, sie ebenfalls einzuladen. Xane hatte ihn darin bestärkt. Es war schließlich sein Geburtstag. Vor einigen Tagen hatte Christiane sich entschuldigt: eine notwendige Reise, unverschiebbar. Ob das stimmte, wusste er nicht. Er hatte darüber nachgedacht, sie am Vormittag probehalber anzurufen. Aber da er nicht wusste, ob seine Nummer unterdrückt war und, falls nicht, wie man das einrichten konnte, hatte er es lieber bleiben lassen.
Er fühlte sich benommen. Der Nachmittag gestern mit Xane war sehr nett gewesen, aber lang. Am Ende suchte sie sich eine völlig meschuggene, buntkarierte Handtasche aus, die ein kleines Vermögen kostete und über die sie sich so ausgelassen freute wie ein Kind: Die besten Geschenke sind die, die man sich selber nie kaufen würde, jubelte sie.
Sie nahmen ein frühes Abendessen beim Kroaten am Eck. Er hatte ein Stück Fisch gegessen und nach einem kleinen Grappa überraschend gut geschlafen. Vielleicht sollte er das öfter tun, einen kleinen Schnaps vor dem Schlafen. Von Hochprozentigem hatte er sich lebenslang ferngehalten, früher hatte es rundum Beispiele gegeben, was der Alkohol aus den Menschen machte.
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