Quasikristalle: Roman (German Edition)
Amos’ Geburt, halbwegs schlank geblieben, nicht wie Albert, der inzwischen fast so breit war wie Helgas Vater. Nicht direkt dick, jedoch breit, wuchtig, da kann man nichts machen. Aber besser der Sohn als die Tochter.
Als Kinder waren sie beide dünn gewesen wie Spargel, er sah sie herumspringen in ihren Badehosen, braungebrannt mit roten Hüten, zeternd verfolgt von Helga mit der Sonnencreme.
Beim Eisessen wählte Xane immer die milchigen, Albert die fruchtigen Sorten. Das wusste er genau, das Eis hatte immer er gekauft. Passte das irgendwie zu dem, was sie geworden waren?
Was waren sie eigentlich geworden? Hätte mehr aus ihnen werden können? Was war mit ihren geplatzten Träumen?
Als junges Mädchen hatte Xane eine Zeitlang etwas wie Angstzustände gehabt, die sich niemand erklären konnte. Er hatte sie einmal zu einer Gerichtsverhandlung begleitet, sie war Anfang zwanzig und Unfallzeugin, es war eine harmlose Aussage von ein paar Minuten gewesen.
Sind Sie sicher, fragte der Richter, und in diesem Moment begann Xane zu zittern. Und dann zu weinen, untröstlich, wie ein Kind, er sah ihre Schultern zucken. Trotzdem nickte sie, ja, sie sei sicher, ganz, ganz sicher. Als sie durch die langen Gänge des Gerichtsgebäudes gingen, reichte er ihr sein Taschentuch. Danke, ich habe ein eigenes, sagte Xane, bereits mit einer wieder halbwegs normalen Stimme.
Und von diesen Szenen hatte es einige gegeben, eine Handvoll vielleicht. Einmal im Auto: Als er nach dem Tanken wieder einstieg, lackierte sie tränenüberströmt ihre Zehennägel. Ein andermal mit Helga: Sie wollte ihr einen Hosenanzug schenken, aber Xane ertrug die Enge der Umkleidekabine nicht, oder den Geruch der Verkäuferin, oder beides, jedenfalls sei sie, wie Helga missbilligend berichtete, fast ausgeflippt . Helga versteckte ihre Sorgen gern hinter Missbilligung.
Liebeskummer, mutmaßte Helga, oder die Hormone.
Die Hormone, fragte er, sie ist doch nicht mehr in der Pubertät!
Ich meine die Pille, antwortete Helga und zuckte die Schultern.
Hat sie Liebeskummer, fragte er, weißt du etwas?
Wieso ich, entgegnete Helga, mir sagt sie doch nichts! Frag du sie halt.
Doch davon sah er ab. Das wollte er lieber ihr selbst überlassen. Wenn es etwas zu sagen gab, würde sie das gewiss tun, warum denn auch nicht. Er wollte sie nicht ausfragen, das erschien ihm taktlos.
Sein kleines Mädchen, das erste Kind. Große blaue Augen und ein dickes Büschel schwarzer Haare, direkt nach der Geburt. Gewickelt wie ein Striezel, so machte man das damals, in einem Körbchen hinter einer Glasscheibe. Sie lag in der ersten Reihe, die schönsten Äpfel legen sie nach vorne, hatte er seinen Freunden erzählt.
Damals, wegen der Angstzustände, hatte er sogar Eli gefragt, der hat immer einen guten Draht zu ihr gehabt. Aber Eli weigerte sich glatt. Frag sie am besten selbst, Mister Taktvoll, forderte er Kurt auf, denn was sie mir erzählt, ist bestimmt nicht automatisch für dich gedacht.
Was kann sie schon für Geheimnisse haben, murrte er.
Kurt, sie ist ein erwachsener Mensch und kein Fortsatz von dir, über den du verfügen kannst!
Typisch Eli, immer gleich eine Zurechtweisung. Dabei hatte er seine Kinder nie als Fortsatz betrachtet. Im Gegenteil waren sie ihm oft genug fremd erschienen. Aber auch das ist wahrscheinlich normal.
Das Telefonat dauerte relativ lange. Als Xane wieder hereinkam, lächelte sie, irgendwie glücklicher als vorher. Sie erwähnte, dass sie sich in letzter Zeit wieder mehr mit Musik beschäftige, insbesondere habe sie da einen spannenden jungen Komponisten entdeckt.
Fein, sagte er, sehr interessant, und, Schatzi, weißt du was, wir gehen jetzt und kaufen dir etwas Schönes, ja? Du suchst dir etwas aus. Du brauchst bestimmt eine neue Handtasche.
Xane hob ihre Tasche hoch. Die ist nagelneu, sagte sie, und war sauteuer.
Sieht man ihr gar nicht an, grinste er.
Xane machte Falten.
Dein Vater kennt sich mit so etwas nicht mehr aus, sagte er besänftigend, dann vielleicht etwas anderes, eine Jacke, ein Paar Schuhe?
Nur keine Uhr, sagte Xane.
Nein, keine Uhr. Das war ihr zwanzigster Geburtstag gewesen, oder ihr fünfundzwanzigster? Sie hatten sich zu zweit zum Mittagessen getroffen, im ›Blaubichler‹. Berühmt für seine Schnitzel und den Schweinsbraten. Warum eigentlich? Wo war damals Helga?
Sie hatte ihn danach ein Stück zu seiner Firma begleitet, und am Weg waren sie an einem Juwelier vorbeigekommen. Da lag diese Herrenuhr in der Auslage,
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