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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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verfügte sie über diese raubtierhafte Art, ihre Kräfte und Bedürfnisse einzuteilen. Und außerdem baute sie ihre Karriere auf, mit Fleiß und einem Ehrgeiz, unter dem sie manchmal selbst litt.
    Früher hatte Krystyna, gemeinsam mit den anderen Freunden, gesagt: Sie ist halt richtig gut, unsere Xane. Alle waren stolz auf sie, wie sie überhaupt immer eifrig stolz waren aufeinander. Die jeweiligen Erfolge wurden im Freundeskreis gebührend gefeiert, Judiths erster Bildband, Henrys Premieren und als Christoph Partner in seiner Kanzlei wurde. Aber musste es bei Xane vielleicht immer eine Spur mehr sein? Inzwischen fiel ihr, wenn sie an Xane dachte, vor allem dieser Ehrgeiz ein, das Flackern in ihren Augen, wenn sie wieder einen Preis bekam oder an einer prominent besetzten Podiumsdiskussion teilnahm. Wie sie ihnen allen der Reihe nach um den Hals fiel, strahlend, überdreht und irgendwie abwesend, sodass Krystyna sie verdächtigte, nur zu überprüfen, ob auch ja keiner der alten Freunde fehlte. Für die verlässlich Plätze in der ersten Reihe reserviert waren. Was man ja süß finden konnte, aber ebenso ein bisschen angeberisch.
    Das hätte sich keiner getraut, sagte Krystyna zu Richard, verhindert zu sein bei einem ihrer Auftritte. Nicht einmal bei einem Geburtstagsfest. Kannst du dich erinnern? Sie hat ein Jahr lang nicht mit Paul gesprochen, weil er nicht zu ihrer Hochzeit gekommen ist!
    Das ist eine etwas unfreundliche Zusammenfassung, widersprach Richard, es gibt genügend Leute, die sich darin sonnen, mit ihr befreundet zu sein.
    Ich rede doch von uns, den alten Freunden, schnappte Krystyna, die wir sie gekannt haben, bevor sie die Molin wurde. Ist also meine Zusammenfassung nur unfreundlich oder schon falsch?
    Ganz falsch ist sie nicht, gab Richard zu. Aber ihre Feste waren wirklich immer lustig.
    Klar waren sie das, sagte Krystyna, das hat ja auch keiner bestritten.
    Wenn Xane zu etwas entschlossen war, dann machte sie es hundertprozentig. Das sagte sie selbst über sich, mit dem koketten Zusatz, sie sei eben eine schreckliche, unsympathische Perfektionistin. Halbe Sachen machten sie wahnsinnig, und was sie nicht geschafft hatte, quälte sie lange. Darin war Krystyna ihr nicht unähnlich. Wahrscheinlich hatten sie beide insgeheim Angst, nicht so weit zu kommen wie die Männer, obwohl sie mitten in die Generation hineingeboren waren, in der Frauen nirgendwo mehr als Besonderheit wahrgenommen wurden, auf der Uni nicht und nicht später.
    Irritierend an Xane war, dass sie diesen Perfektionismus überallhin ausdehnte, auch auf ihr Privatleben. Einmal war sie die und schon kurz darauf eine andere, aber alles mit Inbrunst. Gerade war sie noch ein normales Wiener Mädchen aus einem konservativ-katholischen Gymnasium gewesen, da stürzte sie sich plötzlich auf die Verfolgungsgeschichte ihres Vaters, fand im Archiv zwei ermordete Großtanten und galt fortan als ›jüdische Intellektuelle‹. Gerade hatte sie noch dieses Bohemien-Leben in Wien gelebt, sich nach der Imre-Misere in eine Femme fatale verwandelt und wie zur Vergeltung unter den Kunststudenten und jungen Filmemachern einen Berg gebrochener Herzen hinterlassen, da lernte sie den viel älteren Mor Braun kennen und verkündete, in Wirklichkeit seit Jahren aus Österreich weggewollt zu haben. Sie brach alle Zelte ab und zog nach Berlin.
    Krystyna war überrascht und beinahe verletzt von der Eile. Die Freunde, der Stammtisch im ›Blaubichler‹, ihre eigentliche Familie, so hatten sie immer wieder und nur halb im Scherz geredet. Aber dann: ein neuer Mann, und weg.
    Und ausgerechnet Berlin! Krystyna hatte immer nach Berlin gewollt, schließlich war sie es gewesen, die damals, mit Anfang zwanzig, kurzentschlossen in den Zug gestiegen war und sich den feiernden Berlinern angeschlossen hatte, die ein Originalstück Mauer besaß, eigenhändig herausgeklopft, und eine verschwommene Erinnerung an eine Nacht mit einem bärtigen Ostdeutschen in einer Wohnung, in der man morgens, weil der Kohleofen ausgegangen war, derart fror, dass der Geschlechtsverkehr unvermeidlich wurde.
    Xane hatte die Mauer nie gesehen.
    Sie kam erst über ein Jahrzehnt später und war sofort so begeistert, als hätte sie die Stadt erfunden. Einer der Freunde hatte sie einmal unsere UNO-Sonderbotschafterin für Deutschland genannt, und ein anderer fragte: Zahlen sie dir was dafür?
    Und sogar Richard konnte es manchmal nicht mehr hören, Xanes wortreiche Empörung über die österreichischen

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