Quasikristalle: Roman (German Edition)
vor allem ihren Körper. Sie gab und verlangte alles von sich, als ginge es um eines ihrer Filmprojekte oder um einen Auftrag für ihre Agentur. Sie schien zu glauben, dass es einen Leidenskrug gebe, den sie bis zur Neige trinken müsse, danach würde sie vom Schicksal als Heldin belohnt. Das Schicksal hatte also einen Vertrag mit ihr. Und als sie, sinnigerweise zwischen zwei Behandlungen, endlich mit Amos schwanger wurde, war sie, typisch Xane, längst in der Lage, reproduktionsmedizinische Fachgespräche mit Ethikkommissionen zu führen.
Richard versuchte, sie zu besänftigen. Er behauptete, es sei ein bisschen wie mit der Liebe. Das, was man am anderen bislang als liebenswert empfunden habe, könne einem plötzlich besonders auf die Nerven gehen. Und man denkt, man sei vorher blind gewesen, anstatt zu akzeptieren, dass jedes einzelne Bild nur ein Mosaikstück ist.
Das war Krystyna zu abgehoben. Jetzt gab Richard wieder den Abgeklärten. Männer waren meistens einfach zu faul, um bestimmte Konflikte auszutragen. Es interessierte sie schlichtweg nicht. Aber diesmal, fand Krystyna, hatte Xane überzogen.
Sie hatte immer schon Wind um sich gemacht. Ihr Glück wirkte immer größer als das der anderen – wie oft hatte man sich die Geschichte vom Kennenlernen mit Mor anhören müssen, die schier unglaublichen Zufälle, den irrtümlich bedeutungsschweren ersten Satz, den er an sie gerichtet hatte!
Und genauso musste es mit ihrem Unglück sein. Sei es das juristische Gezerre um Mors Kinder aus erster Ehe, sei es die Pubertät der älteren Stieftochter oder dass der alte Ossi Topic hinterrücks aus der Agentur ausstieg und eine eigene gründete – Xane schien alles mit besonderem Getöse zu treffen. Auf jeden Fall traf es sie so, dass es ausreichend Erzählstoff abwarf für die paar Abende im Jahr, die sie überhaupt noch miteinander verbrachten. Wenn man den beiden zuhörte – denn Mor stand ihr im Grunde nicht nach, bloß, dass er besonnener formulierte –, erschien einem das eigene Leben farblos und fad, im besten Fall angenehm entspannt.
Xane war die geborene Drama-Queen. Als sie vierzig wurde, redete sie monatelang obsessiv über das Älterwerden und die Endlichkeit des Lebens, als sie fünfundvierzig wurde, jammerte sie über das Teufelchen, das tief in ihrem Innenohr saß und mit schönheitschirurgischen Maßnahmen lockte; als sie fünfzig wurde, sah man ihr von Weitem an, dass sie mit dem Nächsten, der ein wenig Interesse zeigte, ins Bett gehen würde, einfach nur, um auch einmal ihren Mann betrogen zu haben.
Was hatten Xane und sie früher über dieses Ich-ich-Geschrei gehöhnt! Dass alle mittelalten Journalistinnen, die im letzten Moment Kinder bekamen, daraus Kolumnen und Selbsterfahrungsserien strickten, als wären sie die Ersten, die je in Übermüdungsparanoia oder Erziehungskonflikte geraten waren. Dass jeder, der einen Elternteil vor dessen fünfundsiebzigstem Geburtstag verlor, darüber sogleich ein Trauerbuch schreiben musste. Und so weiter. Dabei war Xane, was ihr eigenes Leben betraf, längst genauso. Alles, was ihr widerfuhr, erschien ihr so spektakulär wie die Entdeckung eines unbekannten Kontinents. Mein Gott, ich habe plötzlich Lust, mit einem fremden Mann zu schlafen! Mein Gott, wenn ich es tue, habe ich aber Schuldgefühle! – War es denn zu glauben? Alles wurde bestaunt und im Detail analysiert – mit einer Leidenschaft, die sie in diesem Ausmaß für nichts anderes aufbrachte, nur für sich selbst.
Insofern hatte Krystyna ihr das Affärendesaster geradezu gegönnt. Es war in ihrem Alter sowieso lustig, wenn sich Freundinnen wieder zu gebärden begannen, als wären sie siebzehn und jungfräulich, aber in Xanes Fall machte es gleich noch einmal so viel her.
Ein Komponist, ein paar Jahre jünger, der ihr demütig kleine Filmmusiken schickte, die er nebenbei geschrieben hatte. Der sich als Fan ihrer alten Kurzfilme zu erkennen gab – von lang vergangenem Ruhm zehrte Xane ebenfalls länger als andere. Der sich mit Kritiken für regionale Zeitungen, mit Klavierstunden, mit Barmusik und Einführungsvorträgen in Konzerthäusern notdürftig und erniedrigend über Wasser hielt. Ein Gescheiterter also, in Krystynas Augen. In Xanes Augen selbstredend ein verkanntes Genie.
Die Anbahnungsphase dauerte so lange, dass Krystyna fürchtete, es werde wieder nichts daraus. Xane flirtete gern, einmal sogar mit diesem ausländischen Politiker, der für das Gericht in Den Haag arbeitete – wie
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