Quasikristalle: Roman (German Edition)
Alltagsrassismen, und dass die Deutschen so viel bessere Demokraten seien. Und die Zeitungen niveauvoller, und die Politiker unpeinlicher. Und der Fußball unvergleichlich. Der Fußball! Wahrscheinlich stimmte das alles ja, aber musste man es den eigenen Wiener Freunden dauernd unter die Nase reiben? Dafür besaß Xane nicht das geringste Gefühl.
Allerdings belehrte sie auch die Deutschen, was Krystyna amüsanter fand. Auf irgendeinem Berlinale-Empfang hatten sich an ihrem Stehtisch zwei dieser grobknochigen blonden Frauen unterhalten, Deutsche-Welle-Redakteurinnen oder Filmförderungsschnepfen, über Restaurants, welches schlechter, welches besser und welches der letzte Schrei sei. Xane und Krystyna wechselten Blicke, dann brach Xane in Hohngelächter aus und sagte zu den beiden: Also bitte, kochen können sie fast nirgends in eurem Land, Bayern einmal ausgenommen.
Statt beleidigt zu sein, pflichteten diese kompetenten Kostümstuten ihnen bei – sie lieben es, kritisiert zu werden, sagte Xane später, das ist ihr deutscher Masochismus. Wie auf Kommando hatten sie von Wien zu schwärmen begonnen, wo sie so herrlich gegessen hätten, Sie wissen bestimmt, was ich meine, dort, wo die Schnitzel größer sind als die Teller? Xane verzog den Mund und schrieb ihnen etwas auf eine Serviette. Touristenfalle, sagte sie beschwörend, bitte gehen Sie nie wieder dorthin. Probieren Sie stattdessen unbedingt das hier.
Danach gingen sie aufs Klo lachen.
Die Botschaft war jedes Mal: Wo Xane war, war es am besten. Wenn es, wie in diesem Fall, an irgendeinem Detail, wie zum Beispiel der Qualität der deutschen Küche, haperte, wusste niemand so genau wie Xane, wo es besser war. Und dann beschenkte sie die Umwelt mit ihrem Expertenwissen. War das immer schon so deutlich gewesen, oder hatte Krystyna, nach all den Jahren und den jüngsten Vorfällen, einfach eine akute Xane-Allergie?
Xane und Mor hatten so schnell geheiratet, wie es juristisch möglich war. Erst musste er von dieser Frau geschieden werden, die irgendwo in einem fernöstlichen Ashram verschwunden war – der einzige Schwachpunkt an der Hochglanzromanze. Doch dann: großes Fest, Einladungskarten, Catering und Musik, keine kleine Gartenparty mit Bratwürsteln, auf der bekiffte Kumpels Stones-Lieder schrammten wie bei Krystyna und Richard. Plötzlich war Xane eine repräsentierende Professorengattin, und eine hyperengagierte Patchwork-Mama obendrein. Das Einzige, was zum perfekten Glück fehlte, war das eigene Kind. Die Jahre, als sie verzweifelt versuchte, mit Mor ein Baby zu bekommen, und immer wieder scheiterte, waren zweifellos schwer gewesen. Krystyna, die ihre beiden Kinder so früh und unkompliziert bekam, dass sie sie noch gar nicht recht ersehnt hatte, tat das ja von Herzen leid. Es ist nicht schön, immer wieder Fehlgeburten zu erleiden, oder Eileiterschwangerschaften, im Ergebnis ist es fast das Gleiche. Aber seit das Thema öffentlich weniger tabuisiert war, sah man: Nicht jede ging an die Sache so heran wie Xane, so – verbissen. Manche nahmen es als Schicksal an und machten ihren Frieden. Es schien völlig außerhalb von Xanes Vorstellungskraft zu liegen, dass sie vielleicht, wie etliche andere Frauen auch, einfach kein Kind würde bekommen können. Dass so etwas vorkam, wie ein jäher Tod in jungen Jahren, ein Unfall mit bleibender Behinderung, irgendein Unglück, das die Menschen manchmal traf.
Xane hätte einen Teil ihrer Energie in bereits geborene Kinder stecken können, in jene Krystynas, zum Beispiel. Zur ersten Geburt rückte sie noch mit einer Flasche Champagner an, sie schenkte von Hand gehäkelte Strampelanzüge aus Frankreich und hatte eine Zeitlang ein Foto von Lilly auf ihrem Schreibtisch stehen. Aber das war es schon. Krystyna hatte weiß Gott genug gerudert, als die Kinder klein waren und das Geld für Babysitter kaum reichte. Aber sie sich einmal einen Nachmittag oder ein Wochenende lang auszuborgen, mit ihnen in den Zoo oder in den Prater zu gehen, auf so eine Idee war Xane nie gekommen. Im Gegenteil: Als sie sich immer tiefer in den IVF-Dschungel verstrickte, redete sie von Krystynas Kindern manchmal so, als wären sie ein fast unanständiger Reichtum, der ihr verwehrt würde. Beinahe hatte Krystyna ein schlechtes Gewissen gehabt, und wenn sie heute daran dachte, verstand sie, warum die Türken bereits Kindern Amulette gegen den bösen Blick umhängten.
Xane hatte wirklich alles in die Schlacht um das Kind geworfen, eine Menge Geld,
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