Quasikristalle: Roman (German Edition)
hieß er gleich? Aber anders als in den Wiener Jugendtagen ging sie mit keinem ins Bett. Dafür war sie zu feig. Wahrscheinlich wollte sie nicht riskieren, dass einer später damit prahlte: Ich war mit Xane Molin im Bett. Oder, schlimmer: Ich war mit Xane Molin im Bett, aber ich muss sagen, in der Vertikalen kann sie mehr.
Ihr war alles zuzutrauen, auch solche Gedanken, die mit der eigenen Bedeutung kalkulierten. Damit sie ihren Mann, den unschlagbaren Mor, die große Liebe ihres Lebens, betrog, musste zweifellos ein besonderes Exemplar her. Oder sie war, wie sie einmal nach drei Gläsern Weißwein kichernd behauptete, an Sex nicht über die Maßen interessiert.
Nicht interessiert, fragte Sally und gab sich schockiert. Wie kann man an Sex nicht interessiert sein?
Xane wurde ein bisschen rot. Das kam inzwischen selten vor.
Ich meine nur, ich glaube nicht unbedingt daran, dass Sex besser sein kann als der mit Mor, sagte sie und lächelte wie ein Schulmädchen.
Und da war es wieder, das große Getöse, diesmal im defensiven Gewand! Da war sie genauso lange verheiratet wie andere, die mit am Tisch saßen, und tat allen Ernstes so, als hätte sie als Einzige noch super Sex. Nach über zwanzig Jahren. Lachhaft. Diese Fähigkeit zur Autosuggestion war beneidenswert.
Und dann war es ausgerechnet dieser hoffnungslose Musiker, der sie herumkriegte. Besser gesagt, er brachte sie mit seiner wenig schmeichelhaften Unentschlossenheit dazu, ihn herumzukriegen. Am Anfang wollte Xane ihn nicht einmal gutaussehend gefunden haben.
Dann musst du ihn dir schöntrinken, schlug Krystyna vor, und Xane lachte hysterisch.
Von einer gewissen Bedeutung war zweifellos, dass er ein paar Jahre jünger war. Man sah ihm das nicht an. Anhand der Fotos, die im Internet zu finden waren, wäre man nicht auf die Idee gekommen.
Hast du dir seine Geburtsurkunde zeigen lassen, neckte Krystyna.
Bist du sicher, dass der Mann heterosexuell ist, fragte Sally.
Xane vergrub das Gesicht in den Händen. Man wusste nicht, ob sie lachte oder weinte. Es ist alles so peinlich, jammerte sie.
Nach allem, was man erfuhr, bewunderte dieser Mann sie. Damit war er ja nicht der Erste. Er rief sie an, er schrieb ihr E-Mails, er hatte diese und jene Frage zu Projekten, für die sie ihn empfohlen hatte, er bat sie, sich zwischen musikalischen Varianten zu entscheiden. Zum Geburtstag schickte er ihr ein Ständchen. Nicht klar war, ob er darüber hinausgehende Interessen hatte, oder ob er nur bemuttert werden wollte.
Frag ihn einfach, schlug Sally vor.
Xane schüttelte den Kopf, fassungslos.
Heutzutage können auch Frauen die Initiative ergreifen, sagte Krystyna, manche Männer sind gar nichts anderes mehr gewöhnt.
Es geht mir gar nicht um Sex, stöhnte Xane.
Nein, natürlich nicht, höhnte Sally.
Worum geht’s dir denn, fragte Krystyna.
Ich würde einfach gern wissen, wie er wirklich ist, stammelte Xane, was er eigentlich will. Ob er mich wirklich mag.
Es war zum Totlachen. Das war Xane Molin, die Filmkünstlerin und Expertin für alternative Werbung, öffentlich wahrgenommen als selbstbewusst und meinungsstark. Sie hatte drei erwachsene Kinder, einen bedeutenden Intellektuellen zum Mann, eine unwesentliche Speckrolle um die Hüften, die sie hasste, und sie war unübersehbar über fünfzig. Wenn man aber die Augen schloss und hörte, wie sie über irgendeinen dahergelaufenen ostdeutschen Klavierspieler mit dem schauerlichen Namen Torsten sprach, musste man glauben, sie sei ein Teenager.
Sally und Krystyna hatten einen Riesenspaß gehabt, immerhin. Es war von Vorteil, dass sich die einzigen beiden Mitwisser gut kannten. In Berlin erzählte Xane es anscheinend niemandem, wegen ihrer obsessiven Angst, entdeckt oder verraten zu werden. Krystyna verglich Xanes Gebaren mit dem von Topmanagern, die sich nach Feierabend auspeitschen ließen. Sally hielt die Managerfälle zwar für viel weniger häufig, als die Medien behaupteten, stimmte ihr aber, was Xane betraf, zu. Es gab in ihrem Leben praktisch keine Probleme mehr: Oma Anke, die verrückte Ruhrpott-Glucke, die jahrelang an den Stieftöchtern herummanipuliert hatte, bevor sie völlig dement wurde, war friedlich entschlafen, die desinteressierte Mutter der Mädchen forstete – im Rentenalter! – in Borneo den Regenwald auf, und Viola, die weitaus schwierigere der beiden Töchter, hatte nach allerhand Drogenexzessen und einem Abstecher in eine Sekte inzwischen ein Promotionsstipendium für Hochbegabte. Xane
Weitere Kostenlose Bücher