Quasikristalle: Roman (German Edition)
Humboldt-Universität geworden.
Wenn sie Xane und Mor in Berlin besuchten, fühlte sich Krystyna zunehmend unsicher. Die Feste wurden anstrengend, weil sie die Bedeutung von zufälligen Gesprächspartnern nicht kannte, diese aber davon auszugehen schienen, dass man wusste, wer sie waren.
Da drüben, das ist die XY, flüsterte Xane ihr zu, wenn sie sich zwischendurch am Buffet trafen, die gerade diesen großen Preis bekommen hat? Du erinnerst dich, von dieser Stiftung? Ach komm schon, die Zeitungen waren voll davon… Sie mag ich ja nicht besonders, aber ihr Mann ist entzückend! Übrigens ein bekannter Regisseur, aber Vorsicht, er heißt Z.Er h-a-s-s-t es, wenn er als Herr XY angesprochen wird.
Dann kicherte sie und eilte weiter.
Und was machen Sie beruflich, fragte dann so ein Herr XY oder eine Frau Z, und Krystyna musste antworten: Ich habe vor hundert Jahren mit Xane Film studiert, arbeite aber für ein Logistikunternehmen.
Wie unglaublich interessant.
So wie früher war es nur noch gewesen, wenn sie zu viert an die Nordsee fuhren. Als die Kinder im Volksschulalter waren, hatten sie zufällig ein reetgedecktes Häuschen entdeckt, groß genug für alle neun. Ein paar Jahre lang mieteten sie es jeden Sommer. Schnell entstanden Rituale, die Strandspaziergänge der Männer sehr zeitig in der Früh, die Picknicke, das gemeinsame Kochen, ein bestimmter Schnaps nach dem Essen, den es nur dort zu kaufen gab. Oder der zumindest nirgendwo sonst geschmeckt hätte, in Berlin nicht und schon gar nicht in Wien. An der Nordsee, so empfand es Krystyna, waren sie alle irgendwie noch sie selbst, ohne Verkleidungen und Alterskrusten.
Dabei war es längst nicht mehr jeden Sommer zustande gekommen. Das letzte Mal war fünf Jahre her. Das Wetter war schlecht, Xane und Richard stritten fast täglich über Politik, Mor musste auf ärztlichen Rat abnehmen, aß fast nichts und war beängstigend grau im Gesicht, und als sie am Abreisetag bei der Vermieterin bezahlten, erfuhren sie, dass diese das Häuschen gerade verkauft hatte. Ein neues Häuschen zu suchen hatte keiner die Kraft, obwohl sie es einander im ersten Moment beteuerten. Es wäre nicht dasselbe gewesen. Es würde nicht mehr dasselbe sein. Das Nordsee-Ende war auf eine Weise abrupt gewesen, die nun prophetisch schien.
Was ist da eigentlich los, fragte Sally.
Es klingt, als würde die Firma baden gehen, sagte Krystyna, das wäre natürlich ein harter Schlag.
Wenn man bedenkt, was in letzter Zeit alles den Bach runtergegangen ist, sagte Sally, dann hat sie vergleichsweise lange durchgehalten. Xane ist mir übrigens nie wie eine typische Geschäftsfrau vorgekommen.
Sie muss die Hälfte entlassen, zum Teil langjährige Mitarbeiter, sagte Krystyna.
Sie hat doch erst vor zwei Jahren groß expandiert, rief Sally.
Ja, daran hab ich auch denken müssen, sagte Krystyna. Da hat sie sich wahrscheinlich verkalkuliert.
Mir sind ihre Betriebssommerfeste immer etwas oversized vorgekommen, sagte Sally.
Ich war da nur einmal, sagte Krystyna, aber oversized ist ein Wort, das auf jeden Fall zu Xane passt.
Sie lachten.
Sie ist hoffentlich nicht bankrott, fragte Sally, oder wird gepfändet oder so etwas Schreckliches?
So hab ich es nicht verstanden, sagte Krystyna, es muss halt alles umstrukturiert werden.
Das passiert anderen Leuten auch, sagte Sally, wahrscheinlich ist das Schlimmste daran, dass sie einmal nicht gewinnt.
Nicht einmal Xane kann immer gewinnen, sagte Krystyna, die Welt hält den Atem an!
Was machen wir jetzt mit ihr, fragte Sally, von mir aus kann sie ein paar Tage zu mir kommen. Bestimmt nicht die ganze Woche.
Bei uns geht es wirklich nicht, sagte Krystyna, so kurz vor Weihnachten. Mit der Baustelle. Das muss sie begreifen!
Sally holte ihr Smartpad heraus: Hi X, wir sitzen hier zusammen und überlegen, was von deinen Anrufen und Nachrichten zu halten ist. Würden jetzt gern mal Konkreteres hören, was eigentlich los ist, warum du das alles nicht zu Hause klären kannst. Wir fragen uns übrigens, ob deine Angestellten dich jetzt nicht brauchen. Ob es sich nicht so gehört. Bitte melde dich. Deine etwas konsternierten Freundinnen S & K.
Sehr gut, sagte Krystyna.
Es dauerte nur wenige Sekunden, dann war die Antwort da: Hat sich erledigt, danke, X.
Was soll das jetzt, fragte Krystyna.
Jetzt ist sie wahrscheinlich beleidigt, sagte Sally.
Na, bitte, gern, sagte Krystyna und rief, durchaus erleichtert, nach der Rechnung.
So war das gewesen, genauso und nicht
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