Quasikristalle: Roman (German Edition)
Monaten nicht gesehen. Da waren Vorbereitungen nötig, Einkäufe, Planungen, das musste man niemandem erklären, schon gar keiner anderen Mutter. Und zu allem Überfluss war der kleine Umbau nicht fertig, den in Angriff zu nehmen sich nach einem Wasserschaden angeboten hatte. Sie würden die Feiertage mit einem aufgestemmten Gästebad überstehen müssen, mit all dem Staub, der trotz geschlossener Türen die ganze Wohnung infiltrierte. Na wunderbar. Und was sollte das heißen, Xane schliefe auch auf dem Boden, auch auf einer Baustelle, wenn sie nur, bitte, bitte, bei ihnen, meinen ältesten Freunden , unterschlüpfen könne?
Das klingt alles so dramatisch, schrieb Krystyna mit einer Hand, während sie sich von dem struppigen Dostal-Hund die Wiedner Hauptstraße entlangzerren ließ: Bist du sicher, dass dir diese Reise guttut? Und was sagt eigentlich Mor dazu?
Mor will natürlich, dass ich dableibe, schrieb Xane zurück, er begreift einfach nicht, dass ich ein paar Tage rausMUSS. Komm schon, Kryssie, das muss doch irgendwie gehen?
Direkt vor dem Foyer des Bürogebäudes blieb der Hund stehen und erschauerte, als hätte er Schüttelfrost. Krystyna wurde von der Vorstellung gepeinigt, dass er gleich tot umfiele, weil sie nicht bemerkt hatte, dass er irgendwo auf dem Weg Rattengift aufgeleckt hatte. Für Frau Dostal, die nach der Operation bestimmt eine Chemo bekam, wäre die Symbolik unerträglich. Und in zehn Minuten begann ihre Konferenz. Am besten ließe sie den Hund gleich unten beim Portier. Für eine halbe Stunde müsste das möglich sein.
Als das Tier zu zittern aufhörte, gab es ein seltsames Geräusch von sich, ein Maunzen, das zu einer Katze besser gepasst hätte. Es streckte sich, aber nicht wie im Todeskampf, sondern genüsslich, und dann fiel unvermittelt eine schockierende Menge halbflüssigen Kots aus ihm heraus. Zwei Angestellte, im angeregten Gespräch, eilten aus dem Haus. In letzter Sekunde machte die eine einen Satz zur Seite. Sagen’s einmal, direkt vor der Tür, schimpfte sie, während Krystyna auf das durchsichtige Plastiksackerl sah, das man ihr mitgegeben hatte. Einsammeln, ja, in Gottes Namen, aber aufwischen?
Entschuldigen Sie vielmals, murmelte sie, es ist nicht mein Hund, ich verstehe selbst nicht… Sie schleifte den Hund ins Gebäude, fischte mit der anderen Hand nach ihrem Portemonnaie und überfiel den Portier mit einem mittelgroßen Schein und dem Satz: Machen Sie das da draußen irgendwie weg, ich flehe Sie an, und passen Sie eine halbe Stunde auf dieses Vieh auf.
Im Aufzug nach oben atmete sie tief durch und schrieb schnell an Xane: Ich finde, man sollte seine Probleme dort lösen, wo sie entstanden sind. R & ich möchten jedenfalls für Übersprungshandlungen, die auch Mor betreffen, nur ungern zur Verfügung stehen.
Und dann begann schon die Konferenz.
Wie sich herausstellte, hatte Xane parallel auch Sally mit Nachrichten bombardiert. Sally hatte erst überhaupt nicht verstanden, warum, denn ihre Wohnung war klein und lag nicht gerade zentral. Xane hatte noch nie bei ihr gewohnt, ja, sie kaum je dort besucht. Warum fragst du nicht Krystyna, Paul oder Christoph, hatte sie in ihrer ersten Reaktion geantwortet, dort hättest du es viel bequemer?
Bei Krystyna scheine es schwierig zu sein, schrieb Xane zurück, aber außer ihnen beiden wolle sie niemanden sehen. Sie sei derzeit nicht vorzeigbar. Sie könne ja von einer zur anderen ziehen, drei Tage hier, vier Tage dort, oder umgekehrt. Dann habe jede von ihnen nur die halbe Arbeit. Danke dir vielmals und tausend Küsse, schrieb sie. Sally antwortete, okay, ich rede mal mit K, aber dann hörten sie zwei Tage gar nichts mehr von ihr.
Als Krystyna zwischen zwei Terminen für eine halbe Stunde ins Café Zögernitz gehetzt kam, rührte Sally, die aussah, als hätte sie in ihrer Seidenbluse geschlafen, wütend in ihrer Melange und sagte: Aber als meine Tournee abgesagt worden ist, hat sie nicht mit dem Ohrwaschel gezuckt.
Was meinst du damit, fragte Krystyna, und Sally antwortete: Na, schau uns an. Irgendwo im Westen Berlins hat Xane Blähungen, und hier formiert sich das Rettungskommando.
Xanes Schweigen nach der Tourneeabsage nahm ihr Sally sehr übel. Immerhin war es in allen Medien gestanden, der Veranstalter pleite, eine ganze Musicaltruppe in letzter Minute zurückgepfiffen. Wie alle anderen hatte Xane genau gewusst, wie aufgeregt Sally gewesen war. Sechs Monate so weit weg zu sein, die Koffer gepackt, die Wohnung
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