Quasikristalle: Roman (German Edition)
anders. Als Krystyna Mitte Jänner zufällig Ela, Henrys Witwe, auf dem Naschmarkt traf und diese behauptete, dass Xane in einer Klinik sei, rief sie sofort bei Mor an. Natürlich war das übertrieben, typisch Ela, die ja wirklich, hin und wieder, etwas Urschelhaftes an sich hatte. So ein Firewall-Hotel, erklärte Mor, keine Kommunikation nach außen, dafür Yoga, Massagen und mehrere Therapeuten. Sie habe etwas verschrieben bekommen, das nehme sie jetzt brav und lasse sich ansonsten wieder aufpäppeln.
Deine und Sallys Reaktion war ja nicht direkt glücklich, sagte Mor, es hätte eine Menge Stress rausgenommen, wenn sie erst einmal zu euch hätte kommen können. Das muss ich dir schon sagen.
Wir haben überhaupt nicht gewusst, was los ist, verteidigte sich Krystyna, ich hab das mit der Firma, ehrlich gesagt, für einen Vorwand gehalten. Wir haben geglaubt, sie hat einen anderen, also, ich meine, was weiß ich. Außerdem, du weißt doch, so kurz vor Weihnachten, wir haben auch zu tun gehabt, ganz schön sogar, meine wichtigste Mitarbeiterin ist immer noch im Spital, die Wohnung war komplett aufgestemmt, also weißt du.
Es gab eine Pause.
Wie gesagt, sagte Mor, das hätte besser laufen können. Aber danke für deinen Anruf.
Wenn es ihr so schlecht geht, dass sie in eine Klinik muss, meinte Krystyna, dann wäre es geradezu unverantwortlich gewesen, uns Freunden das aufzubürden.
Sehe ich genauso, sagte Sally.
Was machen wir jetzt, fragte Krystyna.
Gar nichts, sagte Sally, die wird sich schon wieder melden.
Paul hat mich angerufen und gefragt, wie ich sie bloß so im Stich lassen konnte, sagte Krystyna.
Sie hat ihm unsere Nachricht weitergeleitet, damals, sagte Sally, auch nicht gerade die feine englische Art.
Private Nachrichten durch halb Österreich schicken, sagte Krystyna und schüttelte den Kopf, ich für meinen Teil habe derzeit keinen Bedarf, mit der irgendetwas zu klären.
Vielleicht irgendwann später, wenn Gras über die Sache gewachsen ist, sagte Sally.
Schließlich kennen wir uns fast das ganze Leben.
Früher haben wir immer so einen Riesenspaß gehabt, alle miteinander.
Na ja, aber wenn du ehrlich bist, ist das ein paar Jährchen her.
Mein Gott, und der arme Henry, wie lange ist er jetzt tot?
Bald fünf Jahre, glaube ich. Oder sind es schon sechs? Wir sollten uns wieder einmal mit Ela verabreden.
Da hast du recht, der Ela kann man bestimmt etwas Gutes tun.
The group of non-believers was very large in the beginning.
In fact, it included everybody.
– Dan Shechtman –
12 Im Juni wird Shanti immer so früh wach. Nicht einmal die Hotelvorhänge, die sie für eine verrückte Summe hat anfertigen lassen, können das Licht ganz draußen halten. Irgendwo kriecht doch ein Sonnenstreifen herein. Die Süd-Ost-Lage der Wohnung hat man ihr damals als Vorteil verkauft, aber das war im Winter. Das Panoramafenster, das fast eine Wand einnimmt, wirkte spektakulär, ist aber in Wahrheit den Großteil des Jahres unbenutzbar. Von April bis Oktober muss es hinter zwanzig Quadratmetern beschichteten Vorhangs versteckt werden. Deshalb war das so teuer. Die schiere Fläche plus die Spezialschiene, wegen des Gewichts. Shanti besitzt also einen Hotelvorhang, mit dem sie ihr einziges Zimmer fast bis zum Rand auslegen könnte. Im Sommer öffnet sie ihn nur einen Spalt, gerade so viel, um sich auf die Terrasse zu zwängen. Sie hat nichts draußen, keine Pflanzen, nicht einmal einen Stuhl. Sie überlässt die grauen Platten Wind, Wetter und dem grünen Flaum, der fast keine Wurzeln braucht. Sie steht aber gern dort und schaut auf den Platz.
Die Wohnung ist zu klein, zu heiß, zu teuer. Vielleicht entspricht ihr dieses Bunkerartige mehr, als ihr recht sein dürfte. Ein Bunker mit einem Panoramafenster, einer riesigen Membran, die zu entblößen man überhaupt nur Lust hat, wenn es dämmert oder schneit. Es hat seit vier Wintern nicht mehr geschneit. Der Streit unter den Wissenschaftlern über die Gründe ist erbittert. Es gibt zwei unversöhnliche Richtungen, wie früher bei der Kristallforschung. Dort ist die Sache inzwischen geklärt.
Sie hat ihre Abschlussarbeit hier drinnen im Zwielicht geschrieben und später das Buch. Schon bevor es erschien, musste sie eine zweite Nummer nehmen, für die Privatgespräche. Diese Nummer kennen nur wenige, ihre Familie und ein paar Freunde. Die alte Nummer ist seither auf Mailbox geschaltet. Zu viele haben angerufen, aufgeregte Menschen, die sie niederredeten, beschimpften,
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