Quasikristalle: Roman (German Edition)
Freundin Isabell überwiesen und ist entsprechend gut vorbereitet. Auf Isabell ist Verlass. Denn wenn sie unangenehme Patienten hat, empfiehlt sie ihnen Heikes dicken Kollegen, jenen, der so gern den grünen Mundschutz als Halskette trägt. Hat sie Heike einmal kichernd gestanden. Das habe sie mindestens zweimal getan: einmal bei einem arabischen Paar, wo der Mann sein Spermiogramm ohnehin nicht mit einer Frau diskutieren wollte, ein andermal bei einer Deutschen, die gefragt habe, ob sich so eine Hormonbehandlung günstigen astrologischen Konstellationen anpassen lasse.
Man hätte Isabell längst einmal anrufen müssen; dass sie zu zweit auf einen Schoppen oder im Kino waren, ist gefühlte Jahrzehnte her. Letztes Mal am Telefon glaubte Heike, sie weinen zu hören, Isabell vermutet nämlich, dass Jochen sie betrügt oder betrogen hat. Heike hat nie viel von Jochen gehalten, Isabell jedoch liebt ihn mit beängstigender Wucht. Deshalb hat Heike sich inkompetent gefühlt, ein Zustand, dem sie gemeinhin aus dem Weg zu gehen versucht. Sie würde Isabell ja gerne raten, sich zu wappnen, für alle möglichen Zumutungen, deren Heike Jochen für fähig hält, aber Isabell will das Gegenteil hören. Sie will hören, dass alles wieder gut wird, selbst wenn er das Undenkbare getan haben sollte, was sie, Isabell, ja noch immer gar nicht glauben kann. Im Gegensatz zu Heike, die das Nötige über Jochen weiß, seit er ihr bei einem Grillfest vor Jahren recht routiniert unter den Rock gefasst hat.
Heike denkt nicht darüber nach, was sie tun würde, wenn Manfred sich verdächtig benähme. So funktioniert sie nicht, so könnte sie nicht arbeiten. Denn erstens hält sie das für ausgeschlossen, und zweitens investiert man sinnvollerweise seine Energie nur in Dinge, die der Fall sind.
Hier liegen die Dinge wie folgt: beidseitige tubare Infertilität der Bankberaterin, von Isabell bei einer ambulanten Durchlässigkeitsprüfung festgestellt. Das ist ein glasklarer Befund, der nur eine Schlussfolgerung zulässt: in vitro. Heike erklärt ihnen den Ablauf der Behandlung, die Darstellung der weiblichen Fortpflanzungsorgane liegt bunt und lustig auf dem Tisch. Heike tippt mit der Spitze ihres Stifts hierhin und dorthin, das Schaubild ist laminiert. Der Scheideneingang ist trotzdem etwas verfärbt, weil sie da immer zeigt, wie sie die Punktionsnadel einführt. Die beiden sind aufmerksam und nicken, sie stellen nicht, wie so manche andere, irrationale Fragen, ob es nicht doch irgendeine andere Möglichkeit gibt.
Beten, hat einmal eine Kollegin bei einem internen Erfahrungsaustausch als Antwort vorgeschlagen, da haben alle sehr gelacht. Nur der Chef hat schmunzelnd den Kopf geschüttelt, er ist so ein himmlisch korrekter Mensch.
Nach der Mittagspause liegen die Laborwerte auf Heikes Tisch. Jeden Tag muss sie Patientinnen anrufen und ihnen sagen, dass der Test leider negativ ist. Die anderen, die mit dem positiven Test, werden von den Assistentinnen angerufen; das spart nicht nur Heikes Zeit, sondern hat auch den Vorteil, dass die glücklichen Gewinnerinnen gleich ihre Termine für den ersten Ultraschall zugeteilt bekommen, wo sie hoffentlich einen Herzschlag bestaunen dürfen. So gesehen ist die Molin tatsächlich ein seltener Fall. Hier bekommt nur selten jemand den Eintritt einer Schwangerschaft direkt, persönlich und mit ausgedrucktem Ultraschallfoto bestätigt. Das läuft sonst alles telefonisch. Frühestens zwölf Tage nach dem Embryotransfer können die Frauen vormittags ohne Termin zur Blutabnahme kommen. Ab vierzehn Uhr dürfen sie mit dem Anruf rechnen, und sie warten, mein Gott, wie sie warten. Einmal, es war fast halb vier, hat eine Frau Heike angeschrien: Und warum sagen Sie mir das erst jetzt? Natürlich war sie nicht die Einzige, Heike hatte davor mehrere Telefonate geführt, aber so ein Gedanke kommt ihnen ja gar nicht, dass sie nicht die Einzigen sind. Wie man sich vorstellen kann, dauern auch diese Gespräche manchmal länger. Nein? Wirklich nicht? Sind Sie da absolut sicher? Gibt es keinen Zweifel? Das gibt’s doch nicht! Soll ich nicht lieber noch einmal testen, sagen wir, in zwei Tagen? Ich habe aber gelesen, dass diese frühen Tests … Meine Brust spannt dauernd, ich war mir absolut sicher, dass… Aber ich habe gar keine Blutung! Hören Sie, ich habe einen Frühtest in der Apotheke gekauft, und mein Mann meint auch, dass man ganz, ganz schwach einen zweiten Strich sehen kann …
Damals hat Heike ihre Vorgangsweise
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