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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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geglaubt, das geht abwechselnd, hat sie nach mehreren Versuchen verzweifelt ausgerufen, im einen Monat rechts, im anderen links, und Heike hat geantwortet: Ja, davon wird ausgegangen, aber man hat, außer in Fällen wie Ihrem, ja selten Anlass, das zu überprüfen.
    Die Wahrheit ist: Wir haben von manchem zwei, weil wir Ersatz brauchen, Nieren, Lungenflügel, Arme, Beine, Augen. Wenn eins ausfällt, ist noch das andere da. Aber wenn der linke Eierstock nicht richtig funktioniert, ist es natürlich ungünstig, rechts keinen Eileiter mehr zu haben.
    Als ausnahmsweise ein Follikel auf der linken Seite zu sehen war, trat keine Schwangerschaft ein. Im Molin’schen Alter, Mitte dreißig, passiert das statistisch gesehen sowieso nur drei Mal im Jahr. Mit nur einem Eileiter halb so oft. Mit einem zeitweise inaktiven Eierstock geht es praktisch gegen null. Das hat Heike ihr so nicht gesagt. Gesagt hat sie: Frau Molin, Sie verlieren Zeit. Nach all den Erkenntnissen, die wir in den letzten sechs Monaten gewonnen haben, muss ich Ihnen zur IVF raten. Da hatte sie Tränen in den Augen. Es fällt manchen so schwer, vom natürlichen Weg abzuweichen. Während es inzwischen vereinzelt andere, oft ziemlich Junge, gibt, die ohne wahrnehmbaren Grund kommen, drei Monate lang nicht schwanger geworden, und schon sitzen sie erwartungsfroh da. Als ob die Generation Wunschkaiserschnitt bei Kinderwunsch automatisch die gleichnamige Klinik aufsucht, so, wie sie das Smartphone-Navi befragt, wenn sie keinen Supermarkt findet.
    Heike lächelt, sie mag Frau Molin. Frau Molin interessiert sich für die Zusammenhänge, die medizinischen und die gesellschaftlichen. Sie plaudern manchmal ein bisschen. Frau Molin ist Fernsehjournalistin oder etwas Ähnliches, jedenfalls intelligent und reflektiert. Wenngleich sie ihren eigenen Fall sehr schwer zu nehmen scheint, noch schwerer als andere. Ein Zeichen für Ehrgeiz. Es sind die Ehrgeizigen, die sich besonders gedemütigt fühlen, wenn es mit dem Kinderkriegen nicht klappt. Weil sie meinen, alles können zu müssen, vor allem etwas so kreatürlich Banales wie schwanger zu werden. Aber Mitte dreißig, meine Güte. Das wird bestimmt etwas, selbst wenn es noch ein bisschen Zeit, Geld und Nerven kosten mag.
    Wie geht es Ihnen, fragt Heike, die Down-Spritze gut vertragen? Sie schiebt ein paar Papiere hin und her. Frau Molin kämpft in der Ecke mit einem Schuh, sie ist oft ein wenig hektisch, will sich schnell aus-und anziehen. Sie erzählt, dass die Blutung nicht eingetreten ist. Heike horcht auf. Frau Molin plaudert weiter, in dem Beipacktext, den sie natürlich genau gelesen hat, stehe, dass nach dieser Spritze die Blutungen schwächer würden und schließlich aufhörten. Heike lacht: Nach Langzeitgabe, meine Liebe, aber nicht nach einem Mal! Frau Molin legt die Stirn in Falten, der nächste Stein auf ihrem Weg zum Kind, ohne Blutung kein Behandlungsbeginn, das hat sie wohl schon befürchtet.
    Heike findet die Schwangerschaft auf Anhieb. Schauen Sie, sagt sie sanft und dreht den Monitor in Richtung Liege, eine schöne Fruchthöhle, hier der Dottersack. In einer Woche werden wir den Herzschlag sehen können. Frau Molin ist sprachlos, bleich, verwirrt. Als sie wieder angezogen ist, sitzt sie auf dem Stuhl vor Heikes Schreibtisch und nickt wie betäubt zu Heikes Terminvorschlag. Heike schreibt Uhrzeit und Datum auf ein gelbes Post-it und klebt es auf den Patientenausweis. Sonst wird das wohl nichts. Jetzt freuen Sie sich doch ein bisschen, sagt sie aufmunternd.
    Da bricht das Drama aus der Molin heraus. Sie scheint den Beipacktext des Medikaments geradezu auswendig gelernt zu haben, oder sie hat, was wahrscheinlicher ist, die Möglichkeit einer spontanen Schwangerschaft zumindest in Betracht gezogen und nachgelesen, was dieses Papier dazu zu sagen hat. Eine Schwangerschaft muss vor Anwendung des Präparats unbedingt ausgeschlossen werden … Verdachtsfälle von Epilepsie im Kleinkindalter … Heike beruhigt: Aber nicht doch, Frau Molin! Solche Schwangerschaften kommen öfter vor, als Sie denken. Der letzte Fall hier bei uns ist inzwischen vier Jahre alt, kerngesund und heißt, wenn ich mich recht erinnere, Lea-Sophie!
    Frau Molin braucht heute also ebenfalls längere Beratung. Sie will jetzt genau wissen, wie es überhaupt möglich ist, dass ihre Hirnanhangdrüse blockiert und sie dann dennoch schwanger wurde. Es war andersherum, wirft Heike ein, aber die Molin redet in ihrer Aufregung einfach weiter. Wo in der

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