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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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damals übriggeblieben sind, scheinen wieder angeschlagen zu haben. Erster regulärer Ultraschall nach positivem Test vor zwei Wochen. Da die Werte hervorragend waren, sind keine bösen Überraschungen zu erwarten. Beinahe waren die Werte zu gut, da könnten sich Zwillinge ankündigen. Aber auch das würde die Cornelius mit links schaffen, sie ist der Typus schwäbisches Muttertier, der sich in Berlin beständig vermehrt, hat rote Wangen, runde Hüften und wahrscheinlich einen kunterbunten Garten, in dem sie Gemüse zieht. Ursprünglich lag es am Ehemann, der hatte wohl als Jugendlicher Mumps, da hätten die beiden noch vor ein paar Jahren schlicht und einfach Pech gehabt. Zumindest bis zum ersten verzweifelten Seitensprung der Frau.
    Doch als sie hereinkommt, hat sie gerötete Augen. Eine Schmierblutung, Frau Doktor, murmelt sie, seit heute Morgen. An ihrer Hand geht das Mädchen, scheu, wie eine pummelige Käthe-Kruse-Puppe.
    Auf der Liege hält die Patientin die Augen geschlossen. Sie weiß, was man sehen muss und was man nicht sehen will, jede, die einmal schwanger war, weiß das. Von einer Blutung ist an den entscheidenden Stellen nichts zu finden, das muss andere Ursachen haben, zum Beispiel ein geplatztes Äderchen am Muttermund. Die Cornelius öffnet die Augen und versucht ein Lächeln. Hier haben Sie einen kräftigen Herzschlag, sagt Heike, sehen Sie, wie schön.
    Doris, schau, das wird dein Geschwisterchen, ruft die Cornelius, das kleine Mädchen tritt näher; Heike rutscht mit dem Stab ein Stückchen weiter und sagt nach einer Kunstpause: Und hier haben wir noch ein Geschwisterchen. Frau Cornelius schlägt sich die Hand vor den Mund. Hat Heike es sich doch gedacht. Schwäbische Fruchtbarkeit. Sie dreht den Stab ein wenig, die zweite Fruchthöhle ist nicht gut darzustellen, aber es sieht beinahe so aus, als ob … Wie viele Kryos hat sie transferiert? Wie immer drei? Drillinge wären keine so gute Nachricht, da geht erstens gern etwas schief, und wenn nicht, kommt nachher RTL. Die deutschen Gesetze! Rigide bis dort hinaus, das Embryonenschutzgesetz, man darf fast gar nichts, im internationalen Vergleich, sogar die Österreicher sind liberaler. Von Tschechen und Niederländern nicht zu reden. In Deutschland aber wirkt der Holocaust fort und fort, ethisch jedenfalls, jede Entscheidung wird darauf bezogen, alles Tun muss sich vom Tun der Nazis maximal unterscheiden. Deshalb dürfen die Gynäkologen zwar künstlich befruchten, aber gewissermaßen blindlings, mit einer Augenbinde, damit auf keinen Fall ein Eindruck von Selektion entsteht. Weshalb sie, um halbwegs vergleichbare Erfolgsquoten zu haben, mehr befruchtete Eizellen zurücksetzen als in anderen Ländern.
    So zwingt man die Frauen zu unnötig vielen Mehrlingsschwangerschaften. Wofür die deutsche Regierung folgerichtig wieder Mutterkreuze einführen sollte. Man hätte damals Aktien kaufen sollen von diesem Kinderwagenhersteller, Heike hat den Namen vergessen, ein Label aus Karlsruhe, das Doppelwagen, Dreifachwagen, sogar zusammenhängbare Doppelbabyschalen für das Auto herstellt, in Retro-Mustern, Blumen, Karos, Streifen, man sieht sie überall.
    Aber um das Politische kümmern sich die Männer, zum Beispiel der Chef. Lässt kaum eine Fernsehdiskussion zum Thema aus und ist ein gefragter Gastkommentator. Was tolle Werbung für die Klinik ist.
    Heike zieht den Stab zurück und beschließt, vorläufig zu schweigen. Hier ist eine zweite Fruchthöhle, das sieht die Patientin selbst. Aber die Möglichkeit, dass diese sich noch einmal geteilt hat, verschweigt sie. In einer Woche wird man mehr sehen. Frau Cornelius wird immer noch viele Monate Zeit haben, den Schock zu verarbeiten. Sie steht schwerfällig von der Liege auf, als lastete das Gewicht von Zwillingen bereits physisch auf ihr. Das kleine Mädchen hat nicht ganz verstanden, worum es geht, aber es begreift, dass Mama ein bisschen glücklicher ist als vorhin, vom perfekten, kitzelnden, einen in die Luft werfenden Glück allerdings noch ein Stück weit entfernt. Zum Abschied winkt es, das Käthchen von Heilbronn, mit ernstem Gesicht.
    Das nachfolgende Erstgespräch verläuft angenehm kurz und sachlich. Eine Bankberaterin und ein technischer Angestellter. Seit die Patienten die Hälfte der Behandlungskosten übernehmen müssen, erleichtert die soziale Auslese Heike durchaus die Arbeit. Darf man ja nicht laut sagen, und natürlich ist es schreiend ungerecht. Dieses Paar jedenfalls wurde von Heikes

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