Quasikristalle: Roman (German Edition)
Klopfer. Bis morgen früh muss sie die Zustimmung ihres Mannes zum Embryotransfer faxen, sonst werden alle zehn Vorkernstadien eingefroren. Wie schade das wäre! Die Schwangerschaftsrate nach Kryo-Transfer ist leider nur halb so hoch wie nach frischem.
Heike stellt sich vor, wie Frau Klopfer, die Juristin, die Unterschrift ihres Mannes fälscht, ein anderer Kugelschreiber, und schwungvoll: Abdul Özkan. Ein Präzedenzfall: Ist Frau Klopfer schuld, die Urkundenfälschung begangen hat, oder ebenso ihr Mann, der eine weitreichende eheliche Vereinbarung zu einem unzumutbaren Zeitpunkt aufgekündigt hat? Wahrscheinlich könnte Frau Klopfer sich auf die psychische Ausnahmesituation berufen, all die Wochen mit den Untersuchungen und den Hormonspritzen, und dann: erpresst er sie mit seinem Samen.
Heike schließt das Fenster und zieht die Gardine zu. Der Parkplatz ist inzwischen zu zwei Dritteln leer. Sie holt die Harnik-Schwartz herein, die sich nur mühsam beherrscht. Während sie sich auszieht, jammert sie leise vor sich hin: Meine Schwester erwartet ihr drittes Kind. Hat sie mir gestern gesagt und noch gemeint, sie würde es mir am liebsten verschweigen. Hat sie dann aber doch nicht. Ich weiß, das ist kein Thema für Wettbewerbe. Aber alle meine Freundinnen mit Kindern … ich beginne sie zu meiden. Ich gehe lieber mit Schwulen aus! Hab ich Ihnen schon einmal von der Ärztin erzählt, die mich vor Jahren, bei der letzten Fehlgeburt, im Krankenhaus aufgenommen hat? Eine unglaubliche Geschichte … Ich weiß einfach, dass es vorbei ist, ich spüre das. Ich werde in ein paar Wochen vierzig. Ich hätte nicht so lange warten sollen. Man glaubt, man hat ewig Zeit. Aber plötzlich ist es vorbei.
Bevor sich Heike an das Ultraschallgerät setzt, schaut sie in der Akte nach, wie groß der Embryo beim letzten Mal war: vierzehn Millimeter. Sie quetscht Gel auf die Vaginalsonde und streift die Latexhülle über. Mehr als einmal hat sie bemerkt, dass Patientinnen dabei ein wenig das Gesicht verziehen, weil diese Hüllen wie Kondome aussehen. Frauen, die auf Heikes Liege liegen, verhüten seit Jahren nicht. Die haben für Kondome nichts übrig.
Auch Heike hat für Kondome nichts übrig. Sie hat einmal schlechte Erfahrungen gemacht, wie man so sagt, da war sie erst sechzehn. Der Klassiker, ein geplatztes Kondom, bei einem der ersten Male überhaupt. Danach die Abtreibung, an die sie sich nur dunkel erinnert. In den Niederlanden, mit ihrer Mutter im Zug. Auf dem Rückweg bekam sie Schokolade, die Mutter zog mit steinernem Gesicht eine Tafel nach der anderen aus der waldgrünen Kunstledertasche, sie muss befürchtet haben, dass ihr der Kreislauf wegsackt. Dabei hat sie immer einen stabilen Kreislauf gehabt. Manfred weiß nichts davon, auch sonst niemand mehr. Ihre Mutter versinkt in der Demenz. Gelegentlich rechnet Heike nach, wie alt dieses Kind heute wäre: nämlich längst erwachsen. Sie könnte Großmutter sein. Biologisch gesehen sind Frauen um die zwanzig am empfängnisfreudigsten, ein paar Jahre plus und minus. Aber heute nehmen sie jahrzehntelang die Pille und überlegen mit siebenunddreißig, ob sie sie langsam absetzen sollen oder doch lieber erst im nächsten Jahr, wenn die wichtige Projektarbeit vorbei ist oder die lang geplante Weltreise. Und dann sitzen oder liegen sie vor ihr, wie die Harnik-Schwartz, und brauchen eigentlich keine Hormonspritzen mehr, sondern einen klugen Therapeuten. Selbstverständlich hat die Klinik eine Psychologin unter Vertrag, aber die Ärzte weisen nicht aktiv darauf hin. Wer einen Therapeuten will, wird einen finden. Alles andere wäre übergriffig.
Frau Harnik-Schwartz ist sehr blass und still und schaut sie aus großen Augen an. Heike führt die Sonde ein. Ein bisschen Geflimmer, der Embryo erscheint in seiner Höhle. Die ist wieder rund, nicht abgeflacht wie beim letzten Mal. Man weiß einfach nicht, was in den ersten Wochen da drin geschieht, warum es so oft fehlgeht. Vermutlich wird man es nie wissen. Es ist eben etwas gottverdammt anderes, als ein krankes Kind zu behandeln. Ein Kind ist ein fertiger Mensch, eine gewaltige Summe ungeheuer komplizierter und ausdifferenzierter Zellen, und schon aufgrund seiner Komplexität nicht so leicht umzubringen. Ein Embryo von ein paar Wochen ist das nicht. Wenn da irgendetwas nicht richtig läuft, sondert die Natur ihn aus. Das Schicksal. Gott. Wer auch immer. Warum auch immer. Das Aussondern muss als Begründung genügen. Und das muss auch, einmal
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