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Quasikristalle: Roman (German Edition)

Quasikristalle: Roman (German Edition)

Titel: Quasikristalle: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Menasse
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mehr, Frau Harnik-Schwartz genügen, so sehr sie wieder von Kinderaugen geträumt haben mag, die sie eines Tages anschauen.
    Dabei ist er sogar noch ein wenig gewachsen seit dem letzten Mal, Heike misst achtzehn Millimeter Scheitel-Steiß-Länge. Aber die Herzaktion ist ohne Zweifel weg. Es ist still, im Raum und auf dem Bildschirm. Heike dreht die Sonde hierhin und dorthin. Sie geht mit dem Gesicht näher an den Bildschirm und rüttelt leicht an der Sonde zwischen den Beinen der Frau.
    Was ist, fragt die Harnik-Schwartz heiser, ach, murmelt Heike, ich dachte erst … aber er floatet nur.
    Er tut was, fragt die Frau. Das ›a‹ von ›was‹ kippt stimmlich in die Höhe wie Vogelgezirp.
    Ich wollte überprüfen, ob er sich nicht doch bewegt, sagt Heike, aber er bewegt sich nur mit der Flüssigkeit, in der er schwimmt. Man nennt das floaten. Es tut mir sehr leid.
    Als sie sich anzieht, schreibt Heike die Überweisung. Sie erinnert die Patientin daran, dass solche kleinen Eingriffe auch direkt in der gynäkologischen Praxis vorgenommen werden, von der sie überwiesen wurde. Aber nur freitags, sagt die Harnik-Schwartz, das ist mir zu lange. Heike empfiehlt die Uni-Klinik oder die Ursulinen. Da beginnt Frau Harnik-Schwartz zu lachen. Sie steht neben dem Stuhl, auf dem sie ihre Kleider abgelegt hat, hält in der einen Hand einen schwarzen Kniestrumpf und lacht. Die Ursulinen, ruft sie und schwenkt den Strumpf, dort war ich letztes Mal, das wollte ich Ihnen gerade erzählen.
    Frau Harnik-Schwartz kann griffig erzählen, man sieht die Szenen direkt vor sich. Wie sie, verzweifelt und in Begleitung ihres Mannes, der hilflos-tröstend an ihrem Arm herumdrückte, vor der griechischen oder spanischen, jedenfalls undeutsch temperamentvollen Ambulanzärztin saß, die gleich engagiert im OP anrief.
    Die Patientin sitzt tränenüberströmt vor mir, sagte sie vor der tränenüberströmten Patientin, doch der Oberarzt schien schlecht zu hören, denn die Gynäkologin wiederholte, und diesmal lauter: Tränenüberströmt , sagte ich, ist sie, und es wäre wohl nötig, dass sie noch heute…
    Sie musste noch einmal auf den gynäkologischen Stuhl. Die Richtigkeit der Überweisung muss überprüft werden. Auf der Überweisung steht: Ausschabung wegen missed abortion, so lautet der Fachbegriff für eine abgestorbene Schwangerschaft, die der Körper, als wäre er erstaunt, begriffsstutzig oder ahnungslos, vorläufig weiter bei sich behält.
    Und da, als Frau Harnik-Schwartz gespreizt auf dem gynäkologischen Stuhl halb saß, halb lag – in Krankenhäusern halten sie sich mit den dezenteren Liegen für den Ultraschall gar nicht auf –, wurde die Ambulanzärztin persönlich, sehr persönlich, seien Sie froh, dass das jetzt passiert, flüsterte sie ihr zu und starrte ihr beschwörend ins Gesicht – Frau Harnik-Schwartz sieht die dicken schwarzen Kajalstriche um die Augen der Ärztin bis heute vor sich, während ihr Mann, nur durch einen Vorhang getrennt, vor dem Schreibtisch saß wie ein armer Sünder –, seien Sie froh, seien Sie dankbar, jetzt und nicht später, ich weiß, wovon ich spreche, ich habe drei Kinder, zwei sind behindert, eines musste ich bereits beerdigen, glauben Sie mir, eine Fehlgeburt ist in der frühen Phase ein Glück! Danke, habe Frau Harnik-Schwartz gestammelt, danke, ich verstehe, es tut mir leid, entschuldigen Sie, und dann habe ihr diese Ärztin, während ihre hexenhaften Beschwörungen, ebenso wie die Tränen von Frau Harnik-Schwartz, nicht aufhören wollten zu fließen, auf dem Farbultraschall die rotorangenen Blitze gezeigt, die Frau Harniks eigenen Kreislauf anzeigten, in den Blutgefäßen rundum, anschließend sei sie von dort mit der Sonde zurück zu dem stumm schaukelnden Embryo gefahren, wo alles blau und grün gewesen sei, keine Blitze, kein Herzschlag, nichts. Nur die Form war perfekt, nach so vielen Wochen, ein großer Kopf, ein kleinerer Körper, und die Arm-und Beinknospen. Seien Sie froh, danken Sie Gott, ich habe ein Kind beerdigen müssen, aber Sie, Sie können Ihres hygienisch absaugen lassen, ohne Grab, ohne Sarg, ohne Namen.
    Ich habe erst geglaubt, ich bin einer Irren in die Hände gefallen, beschließt Frau Harnik-Schwartz ihre Geschichte, später wollte ich mich beschweren, aber mein Mann hat gesagt, in gewisser Weise hat sie ja recht, und sie wollte nur helfen.
    Sie lässt sich auf den Stuhl fallen und zieht im Sitzen ihren zweiten Kniestrumpf an.
    Es tut mir sehr leid, wiederholt Heike, weil

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