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den Achseln zucken, im Schaufenster von Yamamoto. Und ging weiter, froh über seine dicken, trockenen Socken.
Wo mochte Alejandro jetzt sein? Vielleicht in dem namenlosen Lokal an der Eighth Avenue, das er so mochte, südlich des Times Square. Der Neonschriftzug verkündete lediglich TAVERN, sonst nichts. Alejandro traf sich darin mit seinen Kontaktleuten für die Galerien; er genoss es, Kunstkuratoren und - händler in das rötliche Zwielicht dort mitzunehmen, zwischen müde, puertoricanische Transvestiten und ein paar Prostituierte vom Port Authority Bus Terminal, die dort eine Pause einleg-ten. Tito konnte das Lokal nicht ausstehen. Es schien sein eigenes Reptilien-Zeitalter auszufüllen, ein auswegloses Kontinuum aus verwässerten Drinks und unterschwelliger Anspannung.
Zurück in seinem Zimmer sah Tito, dass eine der zuvor gewaschenen Socken von dem Kleiderständer auf Rollen herabgefallen war. Er hängte sie wieder zurück.
6. RIZE
Milgrim schätzte zwar die Schärfe der Stickstoff-gefüllten Optik in Browns Fernrohr aus österreichischer Produktion, nicht aber den Geruch von Browns Kaugummi oder seine körperliche Nähe im Fond des Überwachungswagens.
Der Wagen war an der Lafayette Street geparkt. Browns Leute hatten ihn dort für sie stehen gelassen. Brown war bei Rot über eine Ampel gefahren, um sich hierher und in Position zu begeben, nachdem sein Kopfhörer ihm gemeldet hatte, dass der IF unterwegs war – aber jetzt starrte der IF ins Schaufenster von Yohji Yamamoto und rührte sich nicht von der Stelle.
»Was macht er?« Brown nahm das Fernrohr wieder selbst. Es passte zu seiner Waffe und seiner Taschenlampe, dieselbe Nichtfarbe in gräulichem Grün.
Milgrim beugte sich vor, um mit bloßem Auge besser durch sein Spähloch blicken zu können. Der Ford Econoline hatte ein halbes Dutzend davon in den Seitenwänden. In jedes war ein schwarz bemaltes Plastikstückchen geschraubt, das man bewegen konnte. Auf der mit Graffiti besprühten Außenseite befanden sie sich innerhalb geschlossener schwarzer Farbflächen. Mal angenommen, das waren alles echte Graffiti, die dorthin gekommen waren, indem man den Wagen einfach auf der Straße stehen gelassen hatte – würde ein echter Sprayer dann auf die Tarnung des Vans hereinfallen? Wie alt waren die Graffiti? War das die urbane Entsprechung dazu, nicht saisongemäße Vegetation als Camouflage zu verwenden? »Er schaut in ein Schaufenster«, sagte Milgrim und wusste, dass es überflüssig war. »Willst du ihn jetzt nach Hause verfolgen?«
»Nein«, sagte Brown. »Er könnte den Wagen bemerken.«
Milgrim hatte keine Ahnung, wie viele Leute von Brown den IF beim Einkaufen japanischer Lebensmittel beobachtet hatten, während sie in seinem Zimmer die Batterie in der Wanze auswechselten. Diese Welt von Leuten, die andere Leute verfolgen und beobachten, war neu für Milgrim, obwohl er schon immer geahnt hatte, dass es sie gab, irgendwo. Man sah so was in Filmen oder las darüber, aber rechnete nicht damit, dass man eines Tages im Fond eines kalten Vans den kondensierten Atem eines anderen Menschen einatmen musste.
Jetzt war Brown an der Reihe. Er lehnte sich vor und drückte die Gummilippe des Fernrohrs gegen die kalte, feuchtigkeitsbeschlagene Außenhaut des Vans, um den IF genau betrachten zu können. Milgrim dachte leichthin und fast genüsslich darüber nach, wie es wäre, genau jetzt Brown irgendeinen Gegenstand über den Kopf zu hauen. Er sah sich sogar im Van nach etwas Brauchbarem um, aber da war nichts außer den umgedrehten Plastik-Milchkästen, auf denen sie beide hockten, und einer gefalteten Plane.
Als ob er Milgrims Gedanken lesen könnte, wandte sich Brown auf einmal vom Okular des Fernrohrs ab und funkelte ihn böse an.
Milgrim blinzelte unschuldig und hoffte, sanftmütig und harmlos zu wirken. Was nicht so schwer sein durfte, da er seit der Grundschule niemandem mehr auf den Kopf gehauen hatte und es jetzt eigentlich auch nicht vorhatte. Obwohl er natürlich auch noch nie gefangen gehalten worden war …
»Irgendwann wird er in diesem Zimmer eine SMS abschicken oder empfangen«, sagte Brown, »und wenn er das tut, wirst du sie für uns übersetzen.«
Milgrim nickte pflichtschuldig.
Sie quartierten sich im New Yorker in der Eighth Avenue ein. Benachbarte Zimmer, vierzehnter Stock. Das New Yorker schien auf Browns Liste zu stehen. Sie waren schon zum fünften oder sechsten Mal hier. Milgrims Zimmer wurde fast ganz von dem Doppelbett
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