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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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eingenommen. Gegenüber dem Bett stand ein Fernseher in einem Schrank aus Pressspan. Die Pixel im Holzfurnier des Schranks waren zu grob, dachte sich Milgrim, als er den gestohlenen Mantel auszog und sich auf den Bettrand setzte. Es fiel ihm jetzt immer auf, dass man das High-Resolution-Zeug nur an den feineren Orten findet.
    Brown kam herein und führte seinen Trick mit den zwei kleinen Kästchen aus, eines an der Tür, eines am Rahmen. Sie hatten den gleichen Grauton wie die Waffe, die Taschenlampe und das Fernrohr. Er würde dasselbe an seiner Tür tun. Alles offensichtlich nur, damit er, Milgrim, sich nicht dazu entschloss abzuhauen, während Brown schlief. Er hatte keine Ahnung, wie die Kästchen funktionierten, aber Brown hatte ihm verboten, die Türen anzufassen, wenn sie dran waren. Und so ließ er es bleiben.
    Brown warf etwas, das für Milgrim wie ein Blisterstreifen mit vier Ativan aussah, auf Milgrims geblümte Tagesdecke und ging in sein eigenes Zimmer zurück. Milgrim hörte, wie Browns Fernseher anging. Er kannte diese Musik jetzt: Fox News.
    Er starrte auf den Blisterstreifen. Es waren nicht die Kästchen an den Türen, die ihn hier halten würden.
    Er nahm den Streifen in die Hand. »RIZE« stand darauf und »5MG« und etwas, das nach japanischer Schrift aussah. Oder jedenfalls nach dem Japanisch, das man auf Verpackungen findet.
    »Hallo?« Die Verbindungstür zwischen ihren Zimmern stand noch offen. Das Tippen von Browns Fingern auf seinem Militär-Laptop verstummte.
    »Was?«
    »Was ist das für ein Zeug?«
    »Deine Medizin«, sagte Brown.
    »Da steht ›Rize‹ drauf und irgendwas Japanisches. Das ist kein Ativan.«
    »Es ist genau derselbe Scheiß«, sagte Brown und sprach drohend immer langsamer. »DEA-Klasse vier, ver-flucht!«
    Milgrim sah den Blisterstreifen an.
    »Und jetzt halt's Maul!«
    Er hörte, wie Brown wieder anfing zu tippen.
    Er setzte sich zurück aufs Bett. Rize? Sein erster Impuls war, seinen Dealer im East Village anzurufen. Er sah auf das Telefon. Es war ihm klar, dass das nicht ging. Sein zweiter Gedanke war, Brown zu fragen, ob er seinen Laptop ausleihen könnte, um das Zeug zu googeln. Die Drug Enforcement Administration hatte eine Seite mit allen Medikamenten der Klasse vier, auch von ausländischen Herstellern. Aber wenn Brown wirklich vom FBI war, bekam er das Zeug wahrscheinlich sogar von der DEA. Und Browns Laptop auszuleihen kam genauso wenig in Frage, wie Dennis Birdwell anzurufen.
    Außerdem schuldete er Birdwell Geld, unter eher ungünstigen Voraussetzungen. Das kam noch dazu.
    Er legte den Blisterstreifen auf die Ecke des Nachttischs und richtete die Ränder genau mit den Kanten des Möbels aus, die schwarze Flecken hatten, wo frühere Hotelgäste ihre Zigaretten herunterbrennen hatten lassen. Die Form der Flecken erinnerte ihn an das Logo von McDonalds. Er fragte sich, ob Brown bald Sandwiches bestellen würde.
    Rize.

7. BUENOS AIRES
    Hollis träumte, sie wäre mit Philip Rausch in London und ginge mit ihm schnell die Monmouth Street hinunter, dem Obelisk von Seven Dials entgegen. Sie war Rausch noch nie begegnet, aber wie es in Träumen so geht, war er zugleich Reg Inchmale. Es war Tag, aber tief im Winter, der Himmel ein richtungsloses Grau, und plötzlich schauderte sie vor einem grellen, karnevalesken Leuchten zurück, als über ihnen unter Wurlitzer-Orgelei das Mutterschiff aus Unheimliche Begegnung der dritten Art niederstieg – ein Film, der herauskam, als sie sieben war, und der zu den Lieblingsfilmen ihrer Mutter zählte. Aber nun war es hier, riesig, obwohl es in die enge Flucht der Monmouth Street passte, gleich einem Elektroteil zum Wärmen von Reptilien in ihren Käfigen, während sie und Inchmale da kauerten, mit vor Staunen aufgerissenen Mündern.
    Aber dann ließ dieser Rausch-Inchmale unvermittelt ihre Hand los und sagte, es sei nur eine Weihnachtsdekoration, wenn auch eine große, aufgehängt zwischen dem Hotel zu ihrer Rechten und dem Coffee Shop links. Und ja, jetzt sah sie deutlich die Drähte, die es hielten, aber da läutete ein Telefon aus dem Fenster eines Ladens direkt neben ihnen, und sie sah, dass es eine Art Feldtelefon aus dem Ersten Weltkrieg war, sein Leinenfutteral verschmiert mit hellem Lehm wie die groben Wollaufschläge der Hose von Rausch-Inchmale …
    »Hallo?«
    »Rausch.«
    Du also, Rausch, dachte Hollis mit dem aufgeklappten Handy am Ohr. Das Sonnenlicht von Los Angeles nagte an den Rändern der Gardinen im Mondrian.

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