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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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checken, also drück uns die Daumen.« Er stieß die Tür auf und zog die Karre hinein. Hollis folgte ihm. Er fand einen Lichtschalter.
    Ein hoher, weißer Raum, in den zum Teil ein Zwischenboden eingezogen war, von Halogenlampen beleuchtet, die wie Wäscheklammern aus Edelstahl an straff gespannten Stahlseilen unter der Decke hingen. Wie sie sah, wurde hier drin mit Glas gearbeitet. Massive, faustdicke Glasscheiben mit grünen Rändern, manche so groß wie eine Tür, standen wie CDs in einer stümperhaft gepolsterten Konstruktion aus stumpfen, galvanisierten Röhren. Sie sah korrodierte Folienrohre, HEPA-Filter, Abzugshauben. Das Arbeiten mit zerstoßenem Glas stellte Hollis sich nicht angenehm vor. Sie stellte die schwere Tasche auf eine Werkbank, lehnte das Stativ daneben und kratzte sich unter der Jacke die Rippen, da sie an Glasstaub denken musste.
    »Entschuldige mich«, sagte Garreth und griff sich das Stativ, »ich muss Kameramann spielen.« Er ging hinüber zu einem breiten Stahlrahmenfenster und stellte rasch das Stativ auf. »Kannst du mir bitte das Zielfernrohr aus der Tasche bringen?« In der Tasche lag ein eigenartig dickes und kurzes graues Teleskop auf voluminösen Falten aus hellblauem Plastik. Sie brachte ihm das Fernrohr und sah ihm zu, wie er es aufs Stativ montierte, die schwarze Objektivkappe abnahm, hindurchsah und es einstellte. Er pfiff durch die Zähne. »Meine Herren! Verdammte Scheiße!« Er pfiff. »Verzeihung.«
    »Was?«
    »Beinah wäre es in die Hose gegangen. Da, bei dem Dachgiebel. Schau dir das an.«
    Sie spähte durch das Fernrohr.
    Der türkisblaue Container schien direkt über dem schrägen Metalldach eines fensterlosen Gebäudes zu schweben. Sie vermutete, dass er oben auf einem Stapel aus anderen Container stand.
    »Wenn das Dach da dreißig Zentimeter höher wäre, hätten wir verschissen«, sagte er. »Davon hatten wir keine Ahnung.« Er beugte sich über die Karre und hakte die Expander los. Er trug den langen Koffer vorsichtig zur Werkbank und stellte ihn neben die Tasche. Dann ging er wieder zur Karre mit dem schwarzen Koffer darauf. Er kniete sich davor und holte etwas Gelbes in iPod-Größe aus der Jackentasche. Er hielt es an den Koffer, drückte etwas und las dann eine Anzeige ab.
    »Was ist das?«
    »Ein Dosimeter. Russisch. Armeebestände. Hervorragende Qualität für den Preis.«
    »Was hast du da gerade gemacht?«
    »Die Strahlung gemessen. Alles bestens.« Er lächelte sie vom Boden aus an.
    Als sie ihn so ansah, fühlte sie sich plötzlich befangen. Sie ließ den Blick schweifen und bemerkte eine mit Reißverschluss zugezogene, weiße Plane, die den Bereich unter der Zwischendecke abschirmte. Sie ging hin, als würde sie das brennend interessieren, und zog den weißen Nylonreißverschluss, der zwei Meter lang war und eine leichte Kurve beschrieb, von unten ein Stück auf. Sie steckte den Kopf durch die Öffnung.
    In das Leben eines Menschen. Das einer Frau. Der Inhalt einer kleinen Wohnung war in dieses Kabuff gezwängt worden. Bett, Kommode, Koffer, Bücherregale, Kleider an einer durchhängenden Kleiderstange. Aus einem Regal starrte sie eine Kindheit in ausgestopftem Acrylplüsch an. Ein Starbucks-Becher mit Deckel stand vergessen auf der Ecke der Ikea-Kommode. Das Licht, das durch die weiße Plane fiel, war diffus und milchig. Sie hatte auf einmal Schuldgefühle, zog den Kopf wieder heraus und den Reißverschluss zu.
    Garreth hatte den langen, grauen Koffer aufgeklappt.
    Er enthielt ein Gewehr. Oder die surrealistische Version eines Gewehrs. Der Schaft bestand aus wild gemasertem, tropischem Hartholz und hatte eine biomorphe Gestalt, die jeder Vorstellung widersprach, wie etwas aus einer Max-Ernst-Landschaft. Der Lauf, der aus Blaustahl sein musste wie die anderen Metallteile, war in ein langes Rohr mit silbern schimmernder Legierung verpackt, die sie an teure, europäische Küchengeräte denken ließ. Wie eine Cuisinart-Teigrolle. Aber dennoch irgendwie unleugbar ein Gewehr mit einem Zielfernrohr und noch einem anderen Teil, das unter der Cuisinart-Mündung hing.
    Garreth faltete ein kleines, schwarzes Stoffsäckchen auseinander, das innen ein Plastikgerippe zu haben schien.
    »Was ist das?« fragte Hollis.
    »Fängt die Patronenhülsen auf, wenn sie ausgeworfen werden«, antwortete er.
    »Nein«, erwiderte sie, »das da«, und zeigte auf das Gewehr.
    »30er-Kaliber. 10er-Drall, gezogener Lauf, vier Züge.«
    »Er hat gesagt, du würdest niemanden töten.«

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