Quellcode
»Gutenberg«, sagte er und zeigte mit dem Hut auf den Santero. »Samuel Morse, der seine erste Botschaft sendet«, fuhr er fort und deute-te auf den Mann mit der Maus. »Ein Funktechniker. Ein Fernseher.« Das, was Tito für einen Computer gehalten hatte. Der Alte senkte den Hut. Sein Blick kehrte zu Tito zurück. »Du ähnelst beiden sehr, deinem Vater und deinem Großvater«, sagte er auf Russisch.
»Hat sie Ihnen gesagt, dass ich hier sein würde?«, fragte Tito auf Spanisch.
»Nein«, antwortete der Alte mit einem Akzent aus dem Kuba von früher, »ich hatte nicht das Vergnügen. Eine großartige Frau, deine Tante. Ich habe dich hierher verfolgen lassen.« Er wechselte ins Englische: »Es ist schon eine Weile her, dass wir einander gesehen haben, du und ich.«
»Verdad.«
»Aber wir werden einander wieder sehen, und zwar bald«, sagte der Alte. »Man wird dir einen weiteren Gegenstand übergeben. Du wirst ihn mir bringen, wie bisher. Und wie bisher wird man dich beobachten, dir folgen.«
»Alejandro hatte also recht?«
»Du bist nicht schuld. Dein Protokoll ist völlig korrekt und dein Systema perfekt.« Mitten in den englischen Satz streute er den russischen Ausdruck. »Wir haben sozusagen sichergestellt, dass man dir folgt. Wir brauchen das.«
Tito wartete.
»Sie werden versuchen, uns zu fassen«, sagte der Mann, »wenn du die Lieferung übergibst. Es wird ihnen nicht gelingen, aber du wirst den Gegenstand an sie verlieren. Das ist äußerst wichtig, so wichtig wie dein Entkommen – und meins. Und genau dafür hast du dein Systema, oder nicht?«
Tito nickte und bewegte seinen Kopf dabei nur ganz leicht.
»Danach wirst du weggehen«, sagte der Alte, »wie man dich darauf vorbereitet hat. Die Stadt wird dann nicht mehr sicher sein für dich. Hast du verstanden?«
Tito dachte an sein fensterloses Zimmer. Seinen Computer. Sein Keyboard. Die Vase für Oshun. Er rief sich das Protokoll in Erinnerung, das für seine Abreise erstellt und peinlich befolgt wurde. Er hatte nicht die leiseste Idee, welcher Ort für ihn ausgewählt worden war, über dieses Protokoll hinaus. Er wusste nur, dass es nicht New York sein würde. »Ich habe verstanden«, sagte er auf Russisch.
»Hier gibt es einen Bogen«, sagte der Alte auf Englisch, »den man den Pearl Harbour Arch nennt.« Er sah nach oben und hinten im Kirchenschiff. »Man hat ihn mir einmal gezeigt, aber ich kann mich nicht mehr erinnern, wo er ist. Die Steinmetze legten am Tag des Angriffs ihr Werkzeug nieder. Der Bau der Kathedrale lag jahrzehntelang brach.«
Tito drehte sich um und sah nach oben, unsicher, wonach er Ausschau halten sollte. Die Bögen waren so hoch über ihren Köpfen. Er und Alejandro hatten einmal mit einem heliumgefüllten Ballon aus Mylarfolie im Battery Park gespielt. Ein kleines ferngesteuertes Luftschiff. Mit solch einem Ding könnte man hier den Wald von Bögen im Kirchenschiff, die Schatten dieses umgedrehten Tiefseecanyons erkunden. Er wollte diesen Mann nach seinem Vater fragen, ihn fragen, wie und warum sein Vater gestorben war.
Aber als er sich wieder umdrehte, war der Mann fort.
19. FISH
Brown brachte Milgrim in die Wäscherei mit dem koreanischen Besitzer in der Lafayette Street, um ihn dort abzustellen. Nach dem, was Milgrim an Browns Ende der Leitung vom vormittäglichen Telefonverkehr mitbekommen hatte, standen für Brown noch eindringliche Gespräche darüber an, warum das Team den IF verloren hatte.
Diesmal hielt Brown sich nicht damit auf, Milgrim zu erinnern, dass draußen Posten aufgestellt waren und jeder Fluchtversuch genauso vergeblich wie schmerzhaft sein würde. Er ging wohl davon aus, dass Milgrim die Bewacher inzwischen internalisiert hatte – ob sie nun existierten oder nicht. (Milgrim bezweifelte, dass es sie jemals gegeben hatte.) Das war interessant, fand Milgrim.
Brown verabschiedete sich nicht. Er machte einfach kehrt und eilte die Westseite der Lafayette Street hinab.
Milgrim und der koreanische Wäschereibesitzer, ein Mann in den Siebzigern mit einer alterslosen und sonderbarerweise völlig anders wirkenden Kopie von Kim Jong Ils pechschwarzer Haartracht, beäugten einander unvoreingenommen. Wahrscheinlich hatte Brown mit dem Koreaner irgendein Arrangement getroffen, denn er fragte nie nach Milgrims Wäsche oder aus welchem Grund er sonst für Stunden am Westende eines roten Vinylsofas saß und entweder in seinem Buch über mittelalterlichen Messianismus las, die veralteten Klatschmagazine des
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