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Titel: Quellcode Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Gibson
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Schlepptau hatte? Jedenfalls hielt sie mit einer Hand eine Chromstange aufrecht, während sie sich mit der anderen über die Kreuzung schob.
    Hatten ihr die Beine gefehlt? Hollis konnte es nicht sagen, aber nach dem Skateboarder ohne Unterkiefer erschien es gar nicht mehr so dramatisch.
    »Ihre Firma ist da unten?«, fragte sie ungläubig, als Bigend auf eine Zufahrtsstraße einbog, die aussah, als ob man sie am besten mit einem Panzerfahrzeug befahren würde.
    Vorbei an einer im Taumel erstarrten Graffitiwelle, fraktaler Straßenkunst in der Art der Hokusai-Woge, und einer überhängenden Natodrahtrolle auf Maschendrahttoren.
    »Ja«, sagte er und steuerte den Maybach eine viereinhalb Meter hohe Betonrampe hinauf, die an einer Wand klebte, die für Hollis so aussah, als ob sie zu einer Stadt, unendlich viel älter als Los Angeles, gehörte. Babylon vielleicht, mit diskreten Schriftzeichen in Keilschrift, verstohlen in einzelne Ziegel gekratzt.
    Der Maybach hielt kurz auf einer Plattform in LKW-Länge vor einem metallenen Gliedertor. Darüber wucherten rauchschwarze Plastikgehäuse, in denen sich wohl Kameras oder Ähnliches verbargen. Das Tor, geziert von einem pointillistischen Porträt von André the Giant in orwellschen Ausmaßen, glitt langsam nach oben und Andrés finster-glubschäugiger Blick wich gleißendem Halogenlicht. Bigend fuhr in den hangargroßen Raum hinein, der zwar kleiner als Bobby Chombos leeres Fabrikloft war, aber noch immer beeindruckend. Ein halbes Dutzend identischer, silberfarbener Sedans war in einer Reihe geparkt, neben einem offensichtlich brandneuen, gelben Gabelstapler und ordentlichen, hohen Stapeln von Wandverkleidungen aus Gipsfaser.
    Bigend hielt an. Hinter Spiegelglas beobachtete sie ein Wachmann mit Baseballcap, kurzer, schwarzer Uniformhose und passendem Kurzarmhemd, am rechten Oberschenkel ein schwer beladenes, schwarzes Waffenholster mit mehreren Fächern.
    Hollis wollte möglichst schnell aus dem Auto aussteigen. Die Tür öffnete sich wie eine krude Mischung aus Banktresor und Armani-Abendtasche, in perfekter Balance zwischen bombensicherer Solidität und kosmetischer Leichtgängigkeit. Der grobe Betonboden, der übersät war mit Gipsfaserstückchen, wirkte im Kontrast dazu beruhigend. Der Wachmann fuchtelte mit einer Fernbedienung herum. Hollis hörte hinter sich das Gliedertor herunterrasseln.
    »Hier lang, bitte«, versuchte Bigend das Scheppern des Tors zu übertönen. Er ging vom Maybach weg, ohne die Tür zu schließen, sodass auch Hollis ihre offen ließ und ihm folgte. Als sie Bigend eingeholt hatte, drehte sie sich noch einmal um und sah den offen stehenden Wagen, das Innere wie eine weiche Mundhöhle aus grauem Lammleder im unbarmherzigen Gleißen der Garagenbeleuchtung.
    »Ich höre laufend Beschwerden, dass der besondere Charakter des Viertels hier zum Großteil verloren geht«, sagte Bigend, als er sie um einen drei Meter hohen Stapel von Wandbauteilen herumlotste. »Ich werde diese Atmosphäre selbst vermissen. Sie verunsichert Besucher und das ist gut. Vergangene Woche haben wir ein neues Büro in Peking eröffnet. Ich bin überhaupt nicht glücklich damit. Drei Stockwerke in einem Neubau, da kann man nicht viel damit machen. Aber es ist immerhin Peking.« Er zuckte die Achseln. »Da hat man keine Wahl.«
    Hollis kannte sich mit diesem Thema nicht aus und sagte deshalb nichts. Bigend führte sie eine breite Treppe hinauf in das, was offensichtlich ein Foyer werden sollte. Ein weiterer Wachmann, der auf ein Display mit Überwachungsschirmen blickte, schenkte ihnen keine Beachtung.
    Sie betraten einen Aufzug. Er war innen vollständig ausgekleidet mit Wellpappe, die mit weißem Staub überzogen war. Bigend hob eine Ecke davon an und berührte das Bedienfeld. Sie fuhren zwei Stockwerke aufwärts. Als die Tür sich öffnete, bedeutete er Hollis voranzugehen.
    Sie trat auf eine abgelaufene Bahn aus derselben Wellpappe, die mit Klebeband auf dem glatten grauen Bodenbelag befestigt war und zu einem Konferenztisch mit sechs Stühlen auf jeder Seite führte. An der Wand dahinter befand sich Anton Corbijns Hollis-Porträt in perfekter Auflösung auf einem Bildschirm, dessen Diagonale neun Meter messen mochte.
    »Ein wunderbares Bild«, sagte Bigend, als sie den Blick wieder zu ihm wandte.
    »Ich kam mir immer ein bisschen fremd vor darauf.«
    »Weil das Prominenten-Ich eine Art Tulpa ist«, meinte er.
    »Eine Art was?«
    »Eine projizierte Gedankenform. Ein Begriff aus

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