Quellen innerer Kraft
sind, können wir mit der Gabe unserer Imaginationskraft in eine Welt eintauchen, die uns gut tut. Der von den Nazis zum Tode verurteilte Widerstandskämpfer, der evangelische Theologie Dietrich Bonhoeffer, hat das im Gefängnis von Tegel geübt. In der Vorstellung brach er aus dem engen Gefängnis aus. Diese Imagination war für ihn eine wichtige Quelle, um in dieser unmenschlichen Umgebung zu überleben und an seiner Würde festzuhalten.
Wie Gesundheit entsteht
Seit einigen Jahren gibt es eine neue Richtung in der Psychologie, die sogenannte Salutogenese. Sie wurde vom jüdischen Therapeuten Aaron Antonovsky entwickelt. Antonovsky hatte bei der Behandlung von Holocaustopfern die Feststellung gemacht, dass die gleichen schlimmen Erfahrungen bei den einen zum Zusammenbruch und zur Krankheit führten, die anderen jedoch stärker und gesünder werden ließen. Die Frage, die er sich stellte war: Was sind die Bedingungen dafür, dass ein Mensch an den Verletzungen nicht zerbricht, sondern daran wächst? Er konzentrierte sich in der Folge auf die Frage, was den Menschen gesund macht, und nicht darauf, was ihn krank macht. Das ist ein grundlegender Perspektivenwechsel. Inzwischen wird diese neue Sichtweise von vielen anderen Therapeuten und Ärzten übernommen. Es gibt eine ganze Richtung der Gesundheitspsychologie, der es darum geht, die Menschen an ihre Ressourcen zu führen, aus denen sie schöpfen können, damit ihr Leben gelingt.
Salutogenese könnte man mit „Entstehung von Gesundheit“ übersetzen. Dabei heißt das lateinische Wort „salus“ nicht nur Gesundheit, sondern auch Heil. Heil ist ein wichtiger Begriff der christlichen Erlösungslehre. Jesus ist der salvator, der Erlöser und Retter, der Heiland, der uns Heil bringt. Der Pastoralpsychologe Christoph Jacobs hat in seiner Doktorarbeit versucht, die heutige Gesundheitsforschung und das Konzept von Antonovsky für die Arbeit mit Seelsorgern fruchtbar zu machen, die oft erschöpft sind. Statt nur ihre Erschöpfungssymptome zu kurieren, so plädiert er, sollten sie die inneren Ressourcen pflegen. Jacobs erklärt das Salutogenese-Modell von Antonosvky so: Entscheidend für dasEntstehen von Gesundheit des Leibes und der Seele ist das Kohärenzgefühl, das heißt: Grundvertrauen und Verankertsein in einer Welt, die in sich sinnvoll ist. Kohärenzgefühl besagt, dass alles zusammengehört und zusammenhängt. Das gilt nicht nur für die äußere Welt, sondern auch für die innere Welt der Seele. Alles, was ich in mir entdecke, darf sein. Alles hat einen Sinn. Ich kann es verstehen, und ich kann es gestalten und formen. Und ich entdecke in allem, was mir in meiner Seele begegnet oder was mir in der Außenwelt entgegen kommt, eine Herausforderung, an der ich wachsen kann. Ich fühle mich weder durch meine eigene Psyche, noch durch die Außenwelt überfordert. Im Gegenteil: Ich habe Lust, daran zu wachsen, an mir und an der Welt zu arbeiten und mich für eine menschlichere Welt zu engagieren.
Jacobs beschreibt die Bedeutung des Kohärenzgefühls folgendermaßen: Das Kohärenzgefühl drückt sich aus in der Verstehbarkeit (Deutung der Welt), Gestaltbarkeit (Ressourcen, Talente) und Bedeutsamkeit (Herausforderung, Engagement). Damit ein Kohärenzgefühl entstehen kann, sind drei Faktoren notwendig: Konsistenz (Überschaubarkeit und Erklärbarkeit der Lebenserfahrungen), Balance zwischen Überbelastung und Unterbelastung und Teilhabe am Entscheidungsprozess. Das Gegenteil von Konsistenz ist Brüchigkeit. Manche erfahren ihr Leben von Geburt an als brüchig. Sie können ihr Lebenshaus nicht auf sicheren Boden bauen. Sie tun sich schwer, ihr Leben zu gestalten. Doch sobald sie ihr Leben verstehen, finden sie einen Weg, es auch zu gestalten. Für das Entstehen von Gesundheit ist es wichtig, dass wir ein Gleichgewicht zwischen Überbelastung und Unterbelastung finden. Wer ständig überfordert wird, wird unfähig, sein Leben in die Hand zu nehmen. Aber wer ständig unterfordertist, der verliert auch die Lust, an sich zu arbeiten. Er erschlafft und verliert seine Spannkraft. Für Menschen, die jeder Überbelastung aus dem Weg gehen, wird das Leben selbst oft zur Last. Sie meinen, sie würden ihr Leben vor Überforderung schützen. Doch in Wirklichkeit belasten sie sich damit selbst. Denn anstatt äußere Lasten zu meistern und daran zu wachsen, wird ihnen das Leben zu einer Last, die sie kaum mehr zu tragen vermögen. Aber zu diesen inneren Faktoren gehört eine
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