Quellen innerer Kraft
seinen inneren Quellen in Berührung zu kommen und aus ihnen zu schöpfen. Und ich fühlte mich bestätigt in meinem eigenen Anliegen, die Menschen in der Begleitung immer wieder auf ihreeigenen Ressourcen hinzuweisen, anstatt nur über ihre Verletzungen zu reden. In jedem von uns gibt es Quellen, aus denen wir schöpfen können. Es sind Quellen, die uns Kraft geben, die unsere Wunden heilen und die uns befähigen, unser Leben selber zu gestalten, Gesundheit und Freude am Leben zu fördern.
Das innere Kind
Eine andere Quelle, aus der wir schöpfen können und die heute von vielen Psychologen neu entdeckt wird, ist das so genannte innere Kind. Es gibt inzwischen viele Bücher zu diesem Thema. Gemeint ist: Jeder von uns trägt in sich das Kind, das er einmal war. Da ist das verletzte Kind, das wir in den Arm nehmen sollen, um es zu trösten und für es zu sorgen. Anstatt zu jammern sollen wir mütterlich und väterlich mit dem kleinen Jungen und dem verlassenen Mädchen umgehen – dem Kind, das wir selber sind. Wir übernehmen die Verantwortung für das hilflose und gekränkte Kind in uns. Da ist aber auch das göttliche Kind. Es steht für das Potential an Kreativität und Phantasie, das wir in uns vorfinden. Es ist das, was uns Gott von Geburt an mitgegeben hat. Es sind unsere Fähigkeiten, unsere Art und Weise zu denken und zu fühlen. Und es ist unsere ganz persönliche Weise, unser Leben zu verstehen und zu gestalten.
In dem Buch „Finde deine Lebensspur“ habe ich zu den frühen Verletzungen, die wir als Kinder erfahren haben, einiges ausgeführt. Nach einem Vortrag zu diesem Thema fragte mich eine Frau, wie sie denn mit ihrer Vaterwunde umgehen solle. Ihr Vater habe sie sofort nach der Geburt verlassen undsie wisse gar nichts von ihm. Sie wisse nicht, wer und wo er sei. Sie spüre nur die Wunde der Verlassenheit. Was ich ihr sagen konnte, ist dies: Es ist sicher wichtig, den Schmerz wahrzunehmen und ihn nicht zu verdrängen. Aber niemand kann immer beim Schmerz stehen bleiben. Wenn sie das täte, würde sie sich nur von ihrem abwesenden Vater her definieren. Auch sie ist ja nicht für immer verlassen. Sie ist nicht nur Kind eines Vaters, der sich nie um sie gekümmert hat. Sie hat in sich auch ein archetypisches Bild des Vaters. Dieses archetypische Bild kann sie auf Menschen projizieren, die für sie zum Ersatzvater werden und ihr etwas von väterlicher Qualität geben. Aber sie hat schließlich auch selber etwas Väterliches in sich. Und so soll sie dem verlassenen Kind in sich Vater sein, ihm den Rücken stärken, ihm Mut machen, das Leben trotz aller Verlassenheit zu wagen. Und sie kann schließlich Gott als ihren Vater erfahren, als jemand, der zu ihr steht, der seine schützende Hand über sie hält und ihr den Rücken stärkt.
Früher hätte ein Therapeut versucht, die Verlassenheit zu bearbeiten. Eine ressourcenorientierte Therapie überspringt die Verlassenheit nicht, aber sie hilft dem Klienten, an seine eigenen inneren Quellen zu gelangen. Dies sind in erster Linie Erfahrungen, in denen sich das Kind geborgen und stark gefühlt hat. Es gilt danach zu fragen, was der Klient geschafft hat, und es zu bestärken. Die Frau hat immerhin bis jetzt diese Verlassenheit überlebt. Sie hat gezeigt, dass in ihr Kraft ist. Natürlich leidet sie immer noch an dieser Verlassenheit. Und manchmal hat sie den Eindruck, nicht mehr leben zu können. Aber sie kann darauf bauen, dass ihre Mutter sie ausgetragen hat. Sie hat sich für sie engagiert. Das ist schon einmal eine positive Quelle, aus der sie schöpfen kann. Und siehat ihre eigenen Stärken entwickelt, sich durchzubeißen. Es gibt also positive Ressourcen, die man bewusst machen und verstärken kann.
Ich erlebe immer wieder Menschen, die sich bedauern, dass Vater und Mutter sie so verletzt und ihnen so wenig gegeben hätten. Sie leiden darunter, dass ihre Eltern sie nicht anerkannt und nie gelobt haben. Sie sehnen sich noch mit 50 oder 60 Jahren danach, endlich vom Vater gelobt zu werden oder von der Mutter zu hören, dass sie sie liebe. Diese Sehnsucht ist verständlich. Aber sie macht auch abhängig. Da ist wichtig, sich selbst Vater und Mutter zu sein. Das Väterliche und Mütterliche in mir kann sich dem verlassenen Kind in mir zuwenden.
Aber in mir ist nicht nur das verlassene Kind, sondern auch das göttliche Kind. Das innere Kind ist das göttliche Kind. Es zeigt mir, dass in mir nicht nur der verletzte kleine Junge ist, sondern auch
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