Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
haben einen toten Andi Birmoser, und sowohl die Kürten als auch ich sind bedroht worden. Du bist nicht wirklich einsatzfähig. Ich kann dich nicht hier lassen.«
»Doch, kannst du. Ich brauche ein Zimmer, eine WLAN-Verbindung, einen High-Speed-Internet-Anschluss, ein Sofa und viel Essen. Keiner sieht mich. Keiner stört mich. Und du ermittelst draußen.«
Spätestens, als sie ›Essen‹ sagte, war ihm klar, welcher Ort in Arzus Kopf herumgeisterte: das Büro seiner Schwester im Schützenstüberl.
»Kommt nicht infrage«, widersprach er. »Meine Schwester ziehe ich da nicht mit hinein.«
Arzu schüttelte müde den Kopf. »Warum, glaubst du, hat Pollinger uns beide losgeschickt? Eine Hochschwangere und einen von allen gemiedenen Bullen mit Hang zum Dickkopf, der sich trotz aller Widerstände wie beim Junktim-Fall durchsetzt und weiter ermittelt?«
Quercher verstand nicht. »Pollinger will, dass wir so schnell wie möglich zurückkommen. Er hat kein Interesse daran, dass wir ermitteln. Im Gegenteil. Ich soll so schnell wie möglich wieder in München sein.«
Arzu lächelte. »Eben. Er will uns unter Druck setzen. Ich habe mir mal die Akte, die er uns mitgegeben hat, angesehen. Das ist mehr als eine Hintergrundinformation für die Rückführung einer Leiche. Pollinger weiß etwas, was wir noch nicht wissen. Ich bin mir nur nicht im Klaren darüber, was er vorhat.«
Quercher zitterte. Es war saukalt und seine Knochen schmerzten. Er griff in seine Jackentasche, um wenigstens die Finger warm zu halten. Seine Finger berührten das Foto, das er im Schützenstüberl eingesteckt hatte. »Okay, was genau schlägst du vor?«
Arzu bog ihre Hüfte. Das lange Stehen gefiel ihr und dem Baby nicht. Sie beeilte sich. »Ich glaube, der Dreh- und Angelpunkt ist die Leiche. Also Hannah Kürtens Großvater. Wenn die erst einmal in den USA ist, haben wir keine Chance, deine Vermutung zu überprüfen. Nun ist der Transport schon gebucht. Es würde auffallen, wenn wir die Leiche ohne richterlichen Beschluss hierbehalten würden. Keine Ahnung, wie wir das machen.«
Quercher nickte. Ihm schwante da etwas. Er musste telefonieren. »Okay, klappere weiter, schwangere Auster.«
Sie streckte ihm die Zunge heraus. »Du quetscht die reiche Erbin da drin aus. Ich fahre mit dem Taxi zu deiner Schwester, setze mich an den Rechner und checke mal die Daten von Brunner, Schlickenrieder und Stangassinger. Ferner werde ich mich mit den Herren Birmoser senior und junior beschäftigen.«
»Du gehst nicht in deren Mails und Textnachrichten! Ich weiß, dass du das kannst. Kein Trojaner!«
Sie lächelte müde. »Schon klar. Wo hast du das Wort ›Trojaner‹ aufgeschnappt? Homer gelesen? Du kannst doch nicht mal dein Smartphone richtig bedienen.«
Ein Taxi hielt auf dem Vorplatz des Hotels. Zwei Männer in Pelzmänteln stiegen aus. Arzu watschelte auf den Wagen zu und war im nächsten Moment verschwunden.
»Sie hat ihre Jacke vergessen.«
Quercher drehte sich um und sah Hannah Kürten, die ihre Jacken über dem Arm trug. »Wo fahren wir hin?«
Quercher nahm ihr die Kleidungsstücke ab. »Ziehen Sie sich warm an. Es wird kalt.«
»Danke für die Fürsorge, Herr Quercher.«
Er sah sie überrascht an und suchte in ihrem Gesicht nach Ironie. Aber da war wirkliche Dankbarkeit. Er murmelte etwas Unverständliches.
Hannah trat näher an ihn heran. »Ich habe wie Sie gedacht, dass das alles eine Routineangelegenheit sei. Aber das ist es wohl nicht. Irgendjemanden stört, dass die Leiche gefunden wurde. Und ich habe nicht den Wunsch, mir von Provinzlern den Schneid abkaufen zu lassen. Die wollen Ärger? Den können sie haben.«
Quercher lächelte. »Schauen wir mal.«
Kapitel 15
München, Dienstag, 19. 12., 15.12 Uhr
Stefan Picker hatte nicht den mühsamen Weg durch alle Polizeistationen absolviert und in langen Abenden sein Studium der Jurisprudenz abgeschlossen, um jetzt unter der Knute des LKA-Direktors Pollinger sein Dasein zu fristen. Das Angebot aus Berlin war eine einzige Verlockung. Der zukünftige Innenminister, Franke und CSU-Mitglied wie Picker auch, hatte ihm telefonisch die Position eines Staatssekretärs in Aussicht gestellt. Er solle sich ruhig verhalten, keinen Staub aufwirbeln und dann wäre nach der Rochade, die im Januar im Bundeskabinett anstand, alles eine Frage der Formalitäten. Er brauche jetzt einen Aktenfresser, einen, der die heißen Eisen anpacke und die Minen entschärfe. Er verstehe doch. Das sei ein
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