Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Situation ergeben. Sie hätten ihn mit an Bord genommen. Sicher. Aber dann packte er diese Drecksleiche aus. Und jetzt war alles anders, dachte Josef Schlickenrieder, während er angewidert einem rothaarigen Mädchen ohne Hals dabei zusah, wie es schlürfend die letzten Reste Cola aus einem Becher trank.
Brunner rief die Nummer an. Es klingelte lange. Aber dann war eine Frau am anderen Ende. Er nannte einen Namen, sie bat ihn zu warten. Dann kam sie wieder ans Telefon und sagte, dass man ihn zurückrufen würde. Brunner legte auf und strich sich über sein Gesicht. Er roch das herbe Parfum, das er immer auflegte, wenn sie nach Salzburg fuhren. Er fragte sich, ob er sich auf die Nummer verlassen konnte. Nur eine Nummer. Er hatte die Grundstücke doch nur gemakelt. Das hatte er sagen wollen. Er wusste doch nichts. Erst als seine Mutter ihm die Bilder seines Großvaters aus dem Krieg gezeigt hatte, konnte er ein wenig mehr verstehen. Seinen Großvater, seine Zeit. Aber sollte er das Schlickenrieder erklären? Brunner wollte noch nicht zu ihm zurückgehen, sich fragen lassen, die treudummen Augen sehen, die ihn anglotzen, hoffend auf eine gute Nachricht. Warum lief das jetzt aus dem Ruder? Er setzte sich mit seinem teuren Mantel in den Schnee, der auf einer Bank lag, und zündete sich eine Zigarette an.
Sie wollten mit dem Bau der Klinik und des Hotels ihr Leben neu aufstellen. Alle drei hatten zu viel Bargeld. Schwarzes Geld. Das musste weg. Und bei so einem Hotelbau ging immer was. Schlickenrieder hatte die Grundstücke – fast. Sie hatten sich durch alle Instanzen gekämpft. Das war kein Spaziergang gewesen. Natürlich waren die Spinner vom Naturschutz gekommen. Denen konnte er Ausweichflächen besorgen. Dann kam das größere Ärgernis. Der See litt schon seit Jahren unter den zugezogenen reichen und alten Menschen. Sie kamen aus der ganzen Republik, kauften sich ein Landhaus und verlangten ewige Idylle. Nichts sollte sich ändern – bis sie sterben. Dann war es ihnen egal. Sie hatten mit ihrem Geld und ihren juristischen Winkelzügen schon manches Bauprojekt am See gestoppt. Bürgerforum Leben am See hieß ihr alberner Verein. Aber hier ging es um viel Geld, sehr viel Geld. Deshalb hatte Brunner schon einmal die Nummer angerufen. Und eine Woche später, kurz vor einer ersten Bürgerabstimmung, hatte die Polizei auf den Rechnern vom Vereinsvorsitzenden des Bürgerforums und zwei weiteren Vorstandsmitgliedern die Kinderpornobilder gefunden. Davon hatte sich keiner der drei je erholt. Einer von ihnen hing wenig später im Wald an einem Seil.
Im Frühjahr würde Baubeginn sein. Der Bürgermeister Stangassinger sollte den Grundstein legen, würde sich dann für die Landtagswahl aufstellen lassen und wäre sicher bald ministrabel. Aber nun hing ihnen diese Leiche an den Hacken. So kurz vor dem Ziel. Und wieder musste er sich auf die Nummer verlassen.
Alfred Brunner hatte alles, was sein Großvater und Vater ihm vererbten, in der Finanzkrise verloren. Drei Millionen waren ihm geblieben. Er hatte alles auf eine Karte gesetzt: Sol . Ohne Hotel und Klinik war er tot.
Das Vibrieren seines Handys riss ihn aus den tristen Gedanken.
Kein Gruß, keine Fragen, auch Brunner konnte keine Fragen stellen: »Wir werden das Problem final lösen. Es ist nicht nur der schmierige Bulle mit seiner Türkin. Es ist auch die andere Schlampe. Es tut einmal weh. Dann ist Ruhe. Wir müssen schnell machen. Der Bulle hat zu gute Freunde. Gehen Sie ficken. Lassen Sie sich nicht blicken.«
Es klickte.
Brunner ging zu Schlickenrieder und wiederholte die letzten beiden Sätze. Mehr nicht. Es klang einfach gut. Zu gut.
Kapitel 14
Rottach-Egern, Dienstag, 19. 12., 20.45 Uhr
Hannah schrie mehr, als dass sie sprach. »Ich hatte mein iPad im Zimmer liegen gelassen. Erst an der Rezeption bemerkte ich das. Ich ging hoch. Und als ich das iPad startete, erschienen Fotos mit meinem Gesicht auf dem Bildschirm. Jemand hatte sie so verändert, dass ich wie ein Brandopfer aussehe. Wissen Sie, was das bedeutet?«
Quercher wusste es nicht, ahnte es aber, als er ihre aufgerissenen Augen betrachtete.
Er hatte Arzu ins Auto gedrückt und ihr auf dem Weg nach Rottach-Egern die neue Situation erklärt. Dann waren sie beide mit Lumpi, die Quercher fortan nicht mehr allein lassen wollte, in die Lobby des Wellnesshotels gestürmt. Hannah saß auf einem der Sofas, der hinter ihr stehende Weihnachtsbaum passte so gar nicht zu ihrer Stimmung. Es war keine
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