Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Angst, eher Wut, die ihr ins Gesicht geschrieben stand, sodass selbst die Damen an der Rezeption eingeschüchtert in ihre Richtung sahen.
»Was sind das für Fotos?«, fragte Quercher.
Sie sah ihn kurz irritiert, dann böse an. »Von mir und meinen Freunden.«
»Kann ich sie mal sehen, also die Fotos?«
Hannah starrte ihn an, als ob er nicht mehr alle Tassen im Schrank hätte. »Herr Quercher, ich bin runter in die Lobby gelaufen, weil ich Angst hatte allein da oben in meinem Zimmer. Aber ich wollte auch kein großes Aufsehen um die Sache machen. Also versuchte ich, mich wieder zu beruhigen, und ging nach fünf Minuten wieder zurück. Die Fotos waren vom Bildschirm verschwunden. Dafür war eine Mail aufgepoppt.«
»Und was stand drin?«, fragte Quercher.
Sie drehte ihren Kopf, atmete durch, ehe sie fortfuhr: »Ein Fluch. Etwas, was orthodoxe Juden den Ungläubigen, den Goj, an den Kopf werfen. Es ist etwas sehr, wie soll ich sagen, sehr Kabbalistisches. Jemand weiß offenbar, dass ich mich mit so etwas beschäftige. Verstehen Sie eigentlich die Situation? Wer immer das tat, kennt mich sehr gut, hat Zugriff auf mein iPad, kann meine Fotos mit einem elektronischen Bildbearbeitungssystem verändern, sie auftauchen und wieder verschwinden lassen und schickt mir auch noch Mails, die ebenfalls nach ein paar Minuten wieder verschwinden. Ein Stümper ist das nicht.«
Quercher tat erstaunt. »Dann sperren Sie doch einfach Ihren Account.«
Hannah konnte ihren Ärger über die schroffe Art nicht artikulieren.
Arzu griff besänftigend ein. »Sie ist eine Geschäftsfrau. Da ist man mit so etwas äußerst sensibel. Bei dir wäre das wurscht.«
Quercher verriet Hannah nicht, dass auch er bedroht worden war und dass der Mann, der die Leiche ihres Großvaters gefunden hatte, nicht mehr lebte. Sollten beide Drohungen und der Tod von Andi Birmoser in einem Zusammenhang stehen, hatten sie es in der Tat mit Profis zu tun. Und er, Quercher, hatte die Verantwortung, Hannah zu beschützen. Gleichzeitig musste er vorsichtig sein. Hannahs Rolle in diesem Fall war ihm nicht ganz klar. Die Leiche, da war er sich sicher, konnte nicht ihr Großvater sein. Jedenfalls nicht der Großvater, der ihren Angaben zufolge 1945 gestorben war. Wieder fühlte Quercher den Wunsch nach Flucht in sich aufsteigen.
Arzu hatte in einem Sofa gegenüber von Hannah Platz genommen und legte ihre Hände auf ihren großen Bauch. Sie trug noch immer eine knallrote Pudelmütze. Quercher tippte auf seinen Kopf. Arzu verstand und nahm das rote Wollmonster ab.
Quercher wandte sich wieder Hannah zu. »Was erwarten Sie jetzt von uns? Wollen Sie eine große Ermittlung? Können wir machen. Dann werden Sie aber heute Abend nicht mit Ihrem Großvater nach München fahren, um morgen in die USA zu fliegen. Die örtliche Polizei wird ermitteln. So etwas wird hier sehr ernst genommen.«
Hannah blickte sich um, winkte dann mit dem Finger Arzu und Quercher näher zu sich. »Ich werde bedroht. Verstehen Sie das? Das ist keine Aufgabe für einen Dorfpolizisten. Und ich würde das gerne mit Ihnen an einem Ort besprechen, der etwas weniger exponiert ist. Meinen Sie, dass Sie in der Lage sind, so etwas in Ihrer wunderschönen Heimat aufzutreiben? Oder wollen Sie wieder brav nach München zurückfahren?«
Quercher entschuldigte sich und bat Arzu kurz vor die Tür. Gemeinsam standen sie frierend in der Kälte und starrten in den Schnee.
»Hör zu. Du bist hochschwanger. Wenn ich jetzt auf eigene Faust ermittle, ziehe ich dich in etwas hinein, das ich nicht abschätzen kann. Ich setze dich gleich am Bahnhof in Gmund ab und du fährst entspannt nach Hause.«
Die Türkin drückte ihre Hände in die Hüfte und stöhnte: »Das ist Quatsch. Hier ist was faul. Und wir lassen uns nicht von diesen Leuten einschüchtern. Max, wir sind nicht irgendwelche Dorfbullen. Wir sind vom Landeskriminalamt. Die wollen Ärger? Gut, den können sie haben.«
Quercher schüttelte den Kopf. »Lass gut sein. Wir packen ein. Ich will nur noch Frau Kürten …«
»Jetzt hör mal gut zu, Maximilian Quercher. Deine Scheißinsel ist mir wurscht. Mir ist auch wurscht, dass uns irgendjemand unter Druck setzt. Das ist Teil unserer Arbeit. Aber du hast mir selbst immer vorgelebt, dass wir die Guten sind. Und die lassen sich nicht einschüchtern. Nicht von den ganz Großen und auch nicht von denen hier in diesem Inzuchttal.«
Er legte seine Hände auf ihre Schultern. »Bitte, Arzu. Die Sache wird heikel. Wir
Weitere Kostenlose Bücher