Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Ortes nicht anpassen wollte, musste scheitern. Aber war das ein ewiges Gesetz? Birmoser, das sagte ihm sein Instinkt, hatte die Leiche nicht zufällig gefunden. Und es war ebenso kein Zufall, dass sie neben der Hütte lag. Schlickenrieder, Brunner und Stangassinger – das waren seine Zielpersonen.
Ihm war bewusst, dass er, wenn er in den Dreck hineintreten würde, selbst schmutzig werden konnte. Pollinger hatte ihn nicht ohne Grund zurückbeordert, obwohl Quercher ihm überdeutlich die Indizien erklärt hatte. Und die Staatsanwaltschaft? Er hatte dort seit dem Junktim-Fall keine Freunde mehr. Er konnte niemanden anrufen, niemandem unter der Hand die Sachlage schildern. Er war isoliert. Auch deshalb wollte er ja aufhören. Sie hatten ihn erfolgreich kaltgestellt.
Er begann zu schwitzen. Eine der üblichen Reaktionen, wenn ihm wieder das Gesamtausmaß seiner Lage klar wurde. Was er jetzt brauchte, war ein Plan.
»Du siehst müde aus.«
Quercher schrak auf. »Was? Ich denke nach.«
Hannah griff ins Handschuhfach und betastete mehrere Tüten. »Ist das dein Ernst?«
Er beugte sich nach vorn, riss ihre Hand aus dem Fach und schloss es sofort wieder. »Das sind nur Gewürze.«
Sie sah ihn an, wie eine Mutter ihr Kind anblickt, wenn es sie belügt. Ihr gerade aufkeimendes Vertrauen in den deutschen Polizisten drohte sich wieder zu verflüchtigen.
Er schloss die Augen, drückte seinen Rücken durch und zog seinen Pullover mitsamt dem darunterliegenden T-Shirt hoch.
Erst sah sie es kaum im fahlen Licht der Deckenlampe. »Was ist das?«, fragte sie.
»Eine Narbe. Sie schmerzt. Und sie schmerzt so, dass ich entweder dauerhaft Medikamente nehmen müsste oder mich eben von Zeit zu Zeit mit Gras betäube.«
In dem Moment, in dem sie »Was ist passiert?« sagen wollte, gab es hinter ihnen wieder einen dumpfen Knall. Krähen auf den benachbarten Bäumen schreckten auf und flogen krächzend in die Nacht. Auf einem Parkplatz, wenige Meter von ihnen entfernt, sprang die Alarmanlage eines Autos an, ließ die Hupe in Intervallen ertönen und die Blinker erleuchten. Lumpi hatte sich auf der Rückbank erhoben und zu knurren begonnen. Quercher blickte just in dem Moment aus dem Fenster, als der Wagen sich in Bewegung setzte.
»Der Wagen rollt. Zieh die Handbremse!«, rief Hannah.
Quercher presste seinen Fuß auf die Feststellbremse, die sich links neben den anderen Pedalen befand, und drehte gleichzeitig das Lenkrad. Weder das eine noch das andere reagierte. Jemand hat den Wagen manipuliert, schoss es ihm durch den Kopf, während der schwere Kombi rumpelnd den Hang hinunterrollte. Es war ein kleiner Weg, der von Gut Kaltenbrunn hinunter zum See führte. Im Sommer liefen hier Heerscharen von Badegästen hinunter. Jetzt war der Weg am Morgen nur von einem Unimog für die wenigen Winterspaziergänger freigeräumt worden. Aber es reichte, dass der Wagen nicht im Schnee stecken blieb. Zudem befanden sich links und rechts Berge von festem Schnee, der den Weg zu einer Art Bobbahn werden ließ. Das Auto rollte immer weiter. Hannah blieb noch ruhig, versuchte aber, die Tür zu öffnen, die sofort an den Schneewänden schabte und nicht mehr als einen Fußbreit Spielraum bot. Jetzt kroch Panik in ihr auf. Sie schrie. Quercher betätigte wild das Lenkrad, drehte den Zündschlüssel um, aber der Wagen sprang nicht an. Unten, das wusste er noch, kam ein Kiesstrand, dann der See, der mit einer Eisdecke überzogen war. Nie würde sie den Wagen halten. Aber das Wasser war nicht tief. Bestenfalls würden sie nasse Füße bekommen. Eine Bodenwelle aus Eis und Schnee ließ den Wagen in die Höhe schnellen, krachend landete er einen Augenblick später wieder in der Rinne. Der Aufprall wirbelte Hund, Frau und Mann im Wagen umher. Immer noch schrie Hannah. In wenigen Metern würde der Wagen auf das Eis schießen.
»Stütz dich gegen das Armaturenbrett!«, rief Quercher.
Der Tachometer zeigte tatsächlich ihre Geschwindigkeit an, ohne dass der Motor lief. Die gelbe Nadel hatte bereits die 20-km/h-Marke überschritten. Der Strand kam. Sie spürten den Kies, der den Wagen etwas abbremste. Hannah riss ihre Tür auf und sprang hinaus, während Quercher stoisch mit Lumpi, die nach vorn gesprungen war, im Wagen blieb. Er drehte hektisch das Fenster nach unten. Die kalte Luft schoss in sein Gesicht und er hörte das Bersten des Eises. Aber es hielt. Der Hund begann zu fiepen. Er roch die Gefahr. Der Wagen schlitterte noch ein wenig, rollte dann aus und
Weitere Kostenlose Bücher