Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
gesund? Die sehen doch alle aus wie …«
Quercher unterbrach Arzus Redefluss mit einer unwirschen Handbewegung.
Sie saßen mit Querchers Mutter in deren Küche und ließen den Tag Revue passieren. Quercher hatte den Wagen schlussendlich zwar von der Eisfläche bekommen, ihn aber nicht mehr den Hang hinauffahren können. So hatte er ihn stehen gelassen, ein Taxi gerufen und war mit Hannah und Lumpi nach Wiessee gefahren. Er war sich sicher, dass jemand den Wagen manipuliert hatte. Aber in der Nacht machte es keinen Sinn, das zu überprüfen. Sein technischer Sachverstand hätte dazu auch nicht ausgereicht.
Arzu hatte einen großen Schreibblock, den Kinder gemeinhin für ihre Wachsmalexperimente nutzen, auf dem Tisch ausgebreitet. »Hier sind die Fakten. Ein Toter, der nicht 1945 gestorben ist. Ein Schreiner, der mit diesem Fund vielleicht jemanden anschwärzen will und kurze Zeit später getötet wird, ein …«
»Arzu, nur die Fakten«, mahnte Quercher.
Sie verzog ihr Gesicht. »Also, ein Schreiner, der die Leiche findet und dann zufällig stirbt. Zwei Drohungen, die professionell und eindrucksvoll waren. Zwei Autos, die manipuliert … Entschuldigung, nicht funktionstüchtig waren. Mit dem Ergebnis, dass alle außer uns nun denken, dass die Leiche verbrannt ist und man euch einen Schrecken eingejagt hat. Und zu guter Letzt ein LKA-Beamter, der die Leiche hat verschwinden lassen und damit unter anderem gegen die Totenruhe verstoßen hat. Was habe ich vergessen? Stimmt, ein Vorgesetzter, der will, dass wir wieder nach München kommen. Kurz: Wir können nicht offiziell ermitteln, müssen schön die Köpfe einziehen, werden bedroht und haben nur noch wenig Zeit.«
Quercher legte das Bild aus dem Schützenstüberl auf den Tisch. »Schaut mal, das sind laut Bildunterschrift die Herren Schlickenrieder, Brunner und Birmoser. Die Männer daneben sind nicht namentlich gekennzeichnet worden.«
Querchers Mutter kam aus dem Keller, stellte eine Flasche mit Milch auf den Tisch und legte einen Teller mit Aufschnitt daneben. Hannah goss sich ein Glas voll und trank mit großem Durst.
Die alte Quercher sah über die Schulter ihres Sohnes. »Woher hast du denn das?«
»Aus Ankes Restaurant. Das hing da an der Wand«, sagte Quercher. »Kennst du die?«
Querchers Mutter griff in ihren Kittel und kramte eine verbogene Hornbrille heraus. Mühsam setzte sie sie auf und studierte das Bild. »Na, das eine ist der alte Schlickenrieder und sein Schreiner, der alte Birmoser. Die waren ja ein Herz und eine Seele. Die anderen kenne ich nicht. Doch, der eine ist der … Augenblick … das ist der …«
Ihr Sohn wurde ungeduldig. »Ja, das ist der Brunner, das steht hinten drauf. Das war im Hotel Seegarten in Rottach, unten in der Bar bei einer Silvesterfeier, in den Fünfzigern oder so.«
»Nein, den meine ich nicht. Der andere da, im Hintergrund, der seine Arme so auf die beiden legt. Das ist der … verflixt … der Hans halt.«
Quercher erstarrte und sah zu Hannah. Die reagierte sofort. »Und wie hieß der, Frau Quercher?«
Die alte Frau ließ das Bild aus ihrer zitternden Hand fallen. Quercher hob es auf.
Seine Mutter drehte sich wortlos um und ging die Treppe zu ihrem Schlafzimmer hinauf. Sie hörten noch einige Augenblicke ihre Schritte auf den Holzdielen.
Dann war es still.
»Was hat sie?«, fragte Hannah.
»Ihr ist es peinlich, wenn sie so zittert. Sie hat Parkinson. Die Krankheit frisst sie auf.«
Quercher spürte die Beklemmung, die in ihm aufstieg. In München wäre er jetzt an sein Rudergerät gegangen, hätte die Angst und die drohende Panik weggearbeitet. Aber er musste sich um die zwei Frauen kümmern. »Was hast du noch, Arzu?«
»Gut, also Schlickenrieder ist hier am See so was wie der bunte Hund oder Hansdampf oder King of the Wurst oder was immer ihr wollt. Er führt einen Elektrobetrieb und verwaltet die Immobilien seines Großvaters. Der liegt dement in einem Seniorenheim in Kreuth, nicht weit von hier. Diese Immobilien hat der alte Schlickenrieder Stück für Stück von Vater Staat, genauer dem Bundesvermögensamt, in den frühen Siebziger- und Achtzigerjahren erworben.«
Quercher stutzte. »Warst du beim Grundbuchamt, oder wer hat dir das erzählt?«
Sie stöhnte leise. »Max Quercher, selbst hier im Tal, wo man vermutlich im Genpool stehen kann, haben sie auf online umgestellt. Es war eine kleine Anfrage.«
»Klar, ohne zu fragen.«
Arzu zuckte mit den Schultern.
Hannah ging auf diese
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