Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
auf der Liste. Es sollen wohl auch deutsche Staatsbürger an der Kneipe beteiligt sein. Wir checken das, lassen eine Gesichtserkennung durchlaufen. Das Übliche eben.«
Das hieß, dass das Restaurant schon lange observiert wurde. Pollinger runzelte die Stirn. »Wer hat das beauftragt?«
Der Kollege zeigte zögernd auf Pollinger. Der ließ sich seinen Ärger nicht anmerken. Niemals hätte er das unterschrieben. Das konnte nur sein ungeliebter Kollege Picker gewesen sein. Nur er würde Querchers Restaurant observieren lassen. Es wurde eng für seinen Schützling.
Kapitel 18
Bad Wiessee, Dienstag, 19. 12., 22.10 Uhr
Elli Schlickenrieder hatte genug gesehen. Es war nicht schwer gewesen, die Hauskamera auf die Küche zu richten. Sie sah auf dem PC-Bildschirm, wie ihre Freundin und Nachbarin zur Tür hereinkam, wie ihr Mann ihr das Kleid hochschob und wie er es mit ihr trieb. Wie er seine Hose wieder hochzog, wie die Nachbarin den Lappen aus der Spüle nahm, ihr Kleid zurechtrückte, wie sie die Fliesen säuberte und wieder hinüber in ihr Haus und ihre Küche ging. Elli Schlickenrieder hatte die Datei auf einem Stick gespeichert und sie dann auf dem Aufnahmegerät gelöscht, damit sie ihrem Mann nicht in die Hände fallen konnte. All diese Kenntnisse verdankte sie dem EDV-Kurs an der Volkshochschule, an dem sie teilgenommen hatte, um ihre Yogaschule eigenständig und ohne Einmischung ihres Mannes aufzubauen. Sie wollte die Website einrichten, die Kunden verwalten, um sich langfristig von ihm … ja, was eigentlich? Sie wusste es nicht.
Sie saß an ihrem Lieblingsplatz im Wohnzimmer und sah dem Schneetreiben vor dem Fenster zu, im Schein der Terrassenleuchten, die in ihrer Pilzform wie Kobolde wirkten. Die Hälfte der Weißweinflasche war geleert. Beim ersten Mal, als sie ihn mit einer anderen sah, hatte sie ihn geschlagen, gekreischt, versucht, ihm das Leben schwer zu machen. Irgendwann hatte sich die Resignation eingeschlichen. Scheidung? Sie hatte nichts. Als sie ihn damals auf einem der Waldfeste kennenlernte, hatte sie gerade ihre Lehre zur Masseurin abgeschlossen. Dann, nach der Geburt ihrer Tochter, kam die Allergie. Sie vertrug kein Öl mehr. Und er verdiente damals schon gut. Die Urlaube, der Schmuck, das Leben mit den Reichen vom See – es gefiel ihr und betäubte. Aber jetzt war alles zu viel. Sie war Mitte vierzig. Zeit, dass sich etwas änderte. Dachte sie. Und heulte. Schluchzte. Zog den Rotz hoch. Spuckte ihn in ein Taschentuch. Auch das regelmäßige Atmen half nichts. Irgendwo in ihrem Innern kroch eine kalte Wut hinauf in ihren Kopf, übernahm die Sinne. Er würde zahlen. So bezahlen, wie er es sich im Traum nicht vorstellen konnte.
Elli Schlickenrieder legte sich auf den weichen Teppich ihres Wohnzimmers und versuchte, sich auf ihren Bauch zu konzentrieren. Immer hatte Yoga sie getröstet, hatte ihr Leid in einen größeren Zusammenhang gestellt. Nach fünfzehn Minuten der Meditation erhob sie sich wieder. Ihre Tochter war bereits in das Sportinternat abgereist. Heute Abend war sie allein. Sie ging die Treppe zum Obergeschoss hinauf, stieg auf einen Stuhl, öffnete die Luke zum Dachboden, ließ die Leiter herab, spürte den kalten Zug der Luft in der Dachkammer, kroch ihr entgegen, ihr und der Kiste, die unter all dem Ramsch und Trödel und nicht Brauchbaren lag. Sie hatte die Kiste erst vor einigen Wochen entdeckt, als sie sich eine alte Kommode des Großvaters ihres Mannes näher anschauen wollte. Sie hatte es gleich gewusst: Das war es, wonach ihr Mann und seine Freunde so intensiv gesucht hatten. Mit dem Inhalt der Kiste hatte sie ihren Mann in der Hand.
Die Ziffern des Schlosses kannte sie. Der alte Mann hatte immer nur drei Kombinationen in seinem Leben benutzt. Und diese war 2004, Führers Geburtstag. Sie drehte die Ziffern und öffnete den Deckel. Die Bücher waren in Butterbrotpapier eingepackt. Es waren mindestens dreißig Exemplare. Der alte Schlickenrieder hatte Tagebuch geführt. Elli nahm einen Stoß heraus. Sie würde die ganze Nacht lesen.
Kapitel 19
Bad Wiessee, Dienstag, 19. 12., 23.55 Uhr
»Nein, Mutter, sie möchte keinen kalten Schweinsbraten. Hannah kommt aus den USA! Da essen alle sehr gesund.«
Er hatte den Satz fast geschrien. Seine Mutter sah ihn verständnislos an, während Hannah sie freundlich anlächelte.
Arzu hob die Augenbrauen. »Wir sind schon beim Du? Was so eine nicht angezogene Handbremse alles schafft. Und seit wann essen die Amis eigentlich
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