Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
hier aufwächst, ist alles außerhalb des Tals verlockend. Es ist bunter, schneller und geiler. Ich bin nach München gegangen und dann in einigen anderen Städten gewesen. Aber irgendwie glaube ich, dass einem die Heimat in den Knochen steckt. Ich bin wieder hier. Und ich kenne hier alles. Es hat seine Ordnung. Das klingt fad und resigniert. Aber wir stellen uns immer vor, dass sich mit einer Entscheidung, mit einem Abbiegen alles ändert. Das tut es aber nicht. Es ist so …«
Er stockte, weil er merkte, dass das nicht die Antwort war, die Elli erwartet hatte. Aber er empfand es so. In den letzten Tagen hatte sich die Heimat irgendwie an ihn herangeschlichen, war ihm in den Kopf gefahren. Es war ein warmes, bekanntes Gefühl. Sicher würde es bald wieder anders sein. Noch immer sehnte er sich nach Salina, nach der Wärme, dem Essen. Aber sein Wunsch, die Ermittlungen weiterzuführen, war auch aus diesem Heimatgefühl gespeist worden. Hier geschahen falsche Dinge. Und er hatte erstmals die Macht, sich dem entgegenzustellen. Das alles konnte er Elli natürlich nicht erzählen.
»Du meinst also, dass ich das alles aushalten soll mit ihm? Und mit den ganzen Scheißleuten hier?« Ihre Stimme wurde ein wenig lauter.
»Das weiß ich nicht. Weglaufen ist immer nur ein Mittel, kein Ziel. Verstehst du? Aber wenn du ein Ziel hast, dann geh.«
»Würdest du an meiner Stelle gehen?«
Er dachte nach. Sah den Windböen zu, die kleine Schneewirbel auf der Eisfläche in die Luft warfen. Er war hierhergekommen, um von Elli mehr über ihren Mann und seine Machenschaften zu erfahren. Jetzt saß er quasi in einem therapeutischen Gespräch. Er musste das hier abkürzen.
»Ja, ich würde gehen, aber wirklich nur, wenn du genug Rücklagen hast. Dein Mann scheint ja Reichtümer angehäuft zu haben. Schließlich engagiert er sich intensiv im Immobiliengeschäft.«
Elli schwieg.
Lumpi trottete zu ihnen, nachdem sie die ganze Umgebung beschnuppert hatte, und fiepte. Quercher griff in seine Jackentasche, holte ein Stück Trockenfutter hervor und warf es auf das Eis. Unsicher lief Lumpi auf die Fläche, rutschte mit ihren vier Pfoten zu dem Stück und futterte die Belohnung sofort auf.
»Max, du musst dich da raushalten. Ich habe schon gehört, dass dich die Leiche da oben an der Falzeralm interessiert. Aber glaub mir, dieses Projekt, in das Josef und seine Spezl investieren, wird von ganz oben gedeckt. Du machst dir damit keine Freunde.«
»Vielen Dank. Hat dein Mann eigentlich etwas mit dem jungen Birmoser zu tun gehabt?«
Sie schaute ihn nicht an. »Na ja, er ist, also er war der Sohn vom Birmoser senior. Der hat mit dem alten Brunner, dem Schlickenrieder und dem alten Kürten nach dem Krieg das Tal dominiert. Da wurden Grundstücke gekauft und wieder weiterverkauft.«
»Moment, der alte Kürten, sagst du?«
»Ja, die kannten sich alle aus dem Krieg. Und der Birmoser wusste schon, warum er genau da oben den Baum gefällt hat. Das scheint kein Zufall gewesen zu sein.«
Quercher bekam die Mosaiksteine noch nicht zusammen. Nach Christl Birmoser sprach nun auch Elli davon, dass Birmoser den Baum nicht zufällig gefällt hätte. Der Fund der Leiche schien also eine Bedeutung zu haben. Und das Fällen könnte das Todesurteil für den jungen Birmoser gewesen sein. Nur: Wer hatte das Urteil gesprochen? Und vor allem: Wer hatte es vollzogen?
Querchers Handy brummte. Er sah entschuldigend zu Elli, die kurz nickte. Er erhob sich und nahm das Gespräch an. Es war sein Freund Appel.
»Wann holst du deinen Wasser-Ötzi ab? Dem ist schon ganz kalt.« Dr. Appel hatte einen eigenartigen Humor.
»Bin schon unterwegs.« Er legte auf.
»Du musst weg?«, fragte Elli traurig.
»Ja, es ist dringend.«
Sie erhob sich, kam auf ihn zu und umarmte ihn. »Danke.«
Sie stapfte davon und Quercher meinte, dass sie trotz ihres Elends zwei oder drei Mal mit ihrem Po wackelte.
Dann pfiff er Lumpi zu sich und hastete eilig mit ihr zurück zum Auto.
Quercher verspürte eine leichte Nervosität. Wohin sollte er mit der Leiche, die es offiziell nicht gab? Straßberger hatte nach der Explosion des Wagens von einer restlosen Verbrennung aller Überreste der Leiche gesprochen.
Appel erwartete ihn vor seiner Haustür mit grimmigem Gesicht. Quercher grüßte, merkte aber sofort, dass Appel angespannt war. Der Arzt, wie Quercher hier geboren und aufgewachsen, hätte eine glänzende Karriere als Universitätsprofessor machen können. Er hatte sich aber aus
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