Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
den Thekenbereich auszuspritzen, Getränkekisten zu stemmen und mit seinem Schwager Küchenschränke beiseitezuschieben. Er konnte nachdenken, Puzzleteile zusammensetzen und ein Bild des Falles entstehen lassen. Quercher hatte die Begabung, sich von einzelnen Hinweisen, gleich wie bestechend logisch sie waren oder wie verführerisch einfach sie zum Ziel zu führen schienen, nicht dominieren zu lassen. Er nahm sie und legte sie auf einen Gedankentisch, wie er es einmal seiner Frau versucht hatte zu erklären. Dort breitete er sie aus und schob sie immer wieder von links nach rechts, wie bei einem Puzzle. Er war kein Jäger, der eine Spur aufnehmen wollte. Er suchte ein Bild, ein Motiv, einen Antrieb. Das war für ihn der Schlüssel. Mit dieser Methode hätte er sich schlecht in Triebtäter hineinversetzen können. Dazu fehlte Quercher der Zugang. Aber alles, was aus Zorn, Eitelkeit oder Gier geschah, ließ ihn atemberaubend schnell einen Weg erkennen. Für ihn war die Jagd auf Kriminelle nie ein Messen mit einem unbekannten Gegner. Quercher nahm sich nie so wichtig, dass er sich als heldenhafter Jäger sah. »Ich repariere die Dinge, die aus dem Lot geraten sind«, hatte er seiner Exfrau Marille erklärt.
Und so wuchtete und stemmte, zog und schob er im Schützenstüberl , bis ihm der Schweiß in Strömen am Körper herunterlief. Aber am Ende, als die zwei Herren mit den Vollbärten und dem Ausweis der Gewerbeaufsicht in der Hand im Schankraum standen, war er sich sicher, was er zu tun hatte. Jetzt erst bemerkte er, dass selbst Hannah, die Frau aus reichem Hause, sich nicht zu schade gewesen war mitzuhelfen. Bereitwillig hatte sie mit gelben Gummihandschuhen jede Ritze in der Küche gesäubert, war auf Knien über die Fliesen gerutscht und hatte sich dabei gut gelaunt mit Anke über die Vorzüge deutscher und amerikanischer Männer ausgetauscht.
Hannah amüsierte sich still über die skurrile Situation, in die sie sich hatte hineinziehen lassen. Oder war sie es, die alle mit hineinzog? Fast war es ihr peinlich, wie beherzt und ehrgeizig sich dieser Quercher, seine eigene Karriere vergessend, für den Fall einsetzte, der immerhin nur sie wirklich persönlich betraf. Es würde Opfer geben. Aber das war es ihr wert. Und wenn sie dafür auf Fliesen herumkriechen und dem deutschen Reinheitsfimmel Genüge leisten musste, dann nahm sie das in Kauf. Auch wenn es unter Umständen Querchers Existenz kosten würde.
Arzu hatte sich wieder in das kleine Büro verzogen und wertete die Daten aus. Sie musste sich beeilen. In zwei Stunden erwartete sie der Frauenarzt. Also hatte sie Quercher gesagt, dass er seine Auswertungen bis Mittag bekäme, wenn sie dafür nachmittags auf dem Frauenarztstuhl sitzen dürfte. Wie jeder Mann hatte Quercher das Gesicht verzogen, weil er solche Details nicht hören wollte. Aber er hatte wortlos genickt. Sie sparte sich die Leier vom ›Machen wollt ihr sie, aber alles, was danach kommt, ist eklig‹-Gerede. Quercher war der falsche Ansprechpartner. Es würde schon früh genug einsam werden, da musste sie ihn nicht schon jetzt darauf stoßen. Für einen Augenblick sprang Arzu der Wunsch nach einer Zigarette an. Sie hatte das Rauchen vor einem halben Jahr aufgegeben, als sie sich mit dem Kind abgefunden hatte. Anfangs ging es erstaunlich einfach. Aber in letzter Zeit gab es immer wieder Momente, in denen sie ziemlich viel für einen Zug getan hätte.
Das Programm rechnete noch. Sie hatte also ein wenig Zeit, öffnete den Internetbrowser und suchte nach Hannah Kürten. Aber statt auf den deutschen Seiten zu forschen, nahm sie sich mithilfe eines modernen Übersetzungsprogramms die englischen vor. Es dauerte etwas länger, aber dann konnte sie die Artikel lesen. Zuerst sah sie sich die Bilder dazu an. Hannah als toughe Businessfrau an einem Schreibtisch, im Hintergrund die Skyline von New York. Hannah bei einem Reitturnier, einen Pokal übergebend. Hannah mit deutschen und amerikanischen Persönlichkeiten im Weißen Haus. Hinzu kamen Bilder von einer Wahlkampfveranstaltung der Demokraten. Hannah schien das Leben eines attraktiven Singles aus der Promiwelt zu führen, der sich in den letzten Jahren aber etwas zurückgezogen hatte. Das zumindest entnahm Arzu dem jüngsten Artikel, einer Homestory, die Hannah, umgeben von zwei Katzen, auf einer alten Terrasse zeigte. Das Haus musste am Meer liegen. Im Hintergrund erkannte Arzu Sanddünen. Hannah trug eine aufreizend weit ausgeschnittene Tunika mit einem
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