Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
Kaltenbrunn. Einst war das der Biergarten hier im Tal. Dann wollte der Besitzer eine Veränderung. Aus dem Gut wollte er ein hochklassiges Hotel mit Restaurant und allem Pipapo machen. Es gab die üblichen Bedenkenträger. Der Besitzer ließ sich auf Einschränkungen ein, gewann jedes Bürgerbegehren, bekam vor jedem Gericht recht. Bis eine völlig hirnrissige Melange aus einer fragwürdigen Bürgerinitiative und eigennützigen Hoteliers, die die Konkurrenz fürchteten, den Neubau mit fragwürdigen juristischen Mitteln verhinderte. Die Gegner des Projekts bekamen in der letzten Instanz recht. Heute steht das Anwesen leer. Die Frau des Besitzers will nicht mehr, lässt es verrotten, was ich gut verstehen kann. Glaubst du, dass der hiesige Einwohner bereit zu Verhandlungen wäre? Ignoranz und Eitelkeit sind an der Tagesordnung. Insofern, um auf deine Frage zu antworten, finde ich die Veränderungen in dieser Gegend nicht per se schlecht. Aber eben kluge und nachhaltige Ideen. Und diese Ideen müssen seriös sein, einem Großen und Ganzen dienen, nicht nur einer kleinen Gruppe wie Stangassinger, Brunner und Schlickenrieder.«
Plötzlich stand ein älterer Herr mit weißem vollem Haar, das streng zurückgekämmt war, vor ihnen. Er fragte, ob er sich dazusetzen dürfte. Hannah schaute überrascht, wusste aber, dass das in Bayern durchaus üblich war, und nickte dem Mann zu. Dann wandte sie sich wieder an Quercher und wechselte das Thema.
»Warst du verheiratet?«, fragte sie, während sie den großen Knödel in kleine Stücke zerteilte und in die braune Soße tunkte.
Quercher schmunzelte. Hannah schien mit großer Selbstverständlichkeit davon auszugehen, dass er im Moment Single war. »Ja, aber es war ein Desaster.«
»Warum?«
Er mochte nicht über die Jahre mit Marille sprechen. So tat er, was alle klugen Männer machten, wenn sie ein Thema als unangenehm empfanden: Er machte Hannah ein Kompliment. Hannah verstand. Ein Vorteil von erwachsenen Frauen, dachte Quercher vergnügt. Ihre Lebenserfahrung lässt sie am richtigen Punkt stoppen.
»Dürfte ich einmal die Karte haben?«, fragte der Herr neben Hannah.
Quercher schob die Karte hinüber, ohne den Mann eines Blickes zu würdigen. Lieber sah er Hannah beim Essen zu. Vermaß mit seinen Blicken ihr Gesicht, das dichte braune Haar. Die schwarzen Augen, die hohen Wangenknochen. Sie hatte sich auf der Toilette des Gasthauses kurz die letzten Spuren des Sex aus dem Gesicht gewischt, neues Make-up aufgetragen und sah hervorragend aus. Sie war nicht mager, wie Quercher nun wusste. Aber sie musste viel Sport getrieben haben, denn er hatte an so ziemlich jeder Stelle ihres Körpers festes Fleisch und ausgeprägte Muskeln gespürt.
»Essen Sie nichts, Herr Polizist?«
Quercher wandte sich dem Mann zu. »Kennen wir uns?«, fragte er eine Spur zu scharf.
Der Mann lächelte mokant. »Nein, verzeihen Sie mir. Ich darf mich vorstellen. Mein Name ist Dr. Rieger. Ich wohne hier. Und ich glaube, dass wir zwei, Herr Quercher, miteinander reden sollten. Sehr gerne würde ich Ihnen Hintergründe zu dem Fund auf der Falzeralm mitteilen. Daran, so hört man, sind Sie ja brennend interessiert.«
Quercher blickte kurz zu Hannah, deren gesunde Gesichtsfarbe einem blassen Ton gewichen war. Unmerklich schüttelte sie den Kopf.
»Liebe Frau Kürten, was ich Ihrem … Begleiter … zu sagen habe, betrifft sicherheitsrelevante Fragen für unser Land. Ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich würde ihn gerne allein sprechen. Meinen Sie, dass er vielleicht heute Nachmittag für eine Stunde entbehrlich ist?«
Hannah wirkte, als ob dieser Rieger eine massive Bedrohung für sie sei. Etwas Böses. Sie hatte sich ganz in die Stuhllehne gedrückt und starrte auf das Essen vor sich, das sie nicht mehr anrührte.
Rieger erhob sich. »Ich treibe gern Sport. Langlauf, wissen Sie. Abfahrt ist in meinem Alter nicht mehr so gesund. Man ist ja nicht mehr so sicher auf den Beinen. Wie ich weiß, dienten Sie bei den Gebirgsjägern. Da dürfte Ihnen doch das Gleiten auf den Langlaufskiern bekannt sein. Ich warte draußen.«
Rieger griff nach Hannahs Hand, die sie ihm zögernd, fast widerwillig reichte, und deutete einen Handkuss an. Dann drehte er sich um und verließ das Lokal. Quercher und Hannah saßen wieder allein, jetzt aber ratlos und stumm am Tisch.
Sie sah ihn mit großen Augen an. »Willst du dich wirklich mit ihm treffen?«
Quercher atmete schwer aus. »Ich weiß nicht. Er
Weitere Kostenlose Bücher