Quercher 01 - Quercher und die Thomasnacht
zur Seite und blieb mit dem Rücken im Schnee liegen. Er sah in den Himmel. Dunkle Wolken schoben sich über die Bergkette. »Was kennst du?«
Hannah ließ sich langsam nach hinten plumpsen, die Lache mit Querchers Erbrochenem ignorierend. »Ich habe alle, die ich liebte, verloren. Und es gab keinen Ort zum Trauern. Nur das Meer. Ich kenne die Einsamkeit.«
Er fand den Vergleich ein wenig schief. Seine Arbeit war frustrierend, mühsam und schwierig. Und sein Verhältnis zu seiner Mutter und seiner Schwester war von Distanz geprägt. Aber seine Familie lebte. Ihre Familie hingegen war nicht mehr da.
Sie zündete sich eine Zigarette an, wühlte in ihrer Handtasche nach etwas und fand es. Ein silberner Flachmann kam zum Vorschein.
Er trank, ehe er sprach. »Ich höre hier auf. Das ist mir zu viel. Ich bringe hier alles nur in Unordnung.«
Sie schwieg.
»Woher wusstest du, dass ich hier oben bin?«
Hannah lächelte. »Deine Schwester hat mit deiner Mutter telefoniert. Als sie hörte, dass du gegangen bist, meinte Anke, dass du sicherlich hier oben seist. Und da ich denke, dass du jetzt nicht alleine sein solltest, bin ich dir gefolgt.«
Hannahs Zuneigung drückte für einen Moment seine Düsternis beiseite. Er suchte nach einer Zigarette, aber seine Schachtel war leer. Hannah nahm ihre Zigarette aus dem Mund und reichte sie ihm. Er zog daran. Die Kälte drang in ihre Kleider.
Sein Smartphone brummte in seiner Jacke. Er zog es hervor und las eine eingegangene SMS. Sie war von Elli Schlickenrieder und musste in großer Eile geschrieben worden sein.
Hallo Max, ich weiß von dem Fall. Kann dir helfen. Habe Beweise. Heute 15.30 Uhr in Siebenhütten. Bringe alles mit. Auch zum Sol -Projekt. Bin dann weg. Ruf Appel an – erklärt alles. Kuss, Elli.
Er atmete durch. War das eine Falle? Ausgerechnet die Frau von Josef Schlickenrieder? Er zeigte Hannah die SMS. Sie las, während er nachdachte.
Dann schüttelte er den Kopf. »Ich mache das nicht.«
»Gehen wir ins Auto?«, fragte Hannah leise.
Er schwang sich hoch, reichte ihr die Hand und zog sie zu sich. Sie setzten sich auf die Vorderbank. Er stellte die Standheizung ein, die ausnahmsweise funktionierte, und schon nach wenigen Minuten waren die Scheiben beschlagen und der Innenraum feuchtwarm. Sie zogen ihre Jacken aus und stießen dabei zusammen. Sie konnten nicht aufhören. Und es war ihnen egal, ob jemand draußen war oder Lumpi auf der Rückbank knurrte. Sie waren wie zwei Teenager, die es nicht zu Hause machen durften. Verrenkten sich auf der Bank. Nackte Füße traten gegen kalte Scheiben, hinterließen Abdrücke. Ihr Körper war hart, muskulös. Sie schien Sport zu treiben. Er versank, soweit es der Innenraum seines Mercedes zuließ, in ihr. Wenn er zurückwich, griff sie nach ihm, nach seinem Schwanz und seinem Hals, leckte den Angstschweiß der letzten Minuten ab und saugte die Panik aus ihm. Als er kam, saß sie auf ihm, ihre Knie weit gespreizt, während sie sich mit den Händen auf dem Armaturenbrett hinter sich abstützte.
Atemlos und verschwitzt griff er nach hinten, zog Lumpi die Decke unter dem Po weg und hüllte Hannah damit ein. Der Geruch der Hundedecke schien ihr nichts auszumachen. Als sie beide wieder reden konnten, begann sie das Gespräch.
»In den USA habe ich es einmal in einer Toilette des Kongresses während einer Anhörung gemacht. Und du? Was war dein engster Platz?«
Er lachte leise und dachte nach. »Ich glaube, das willst du nicht wissen.«
Sie stieß ihn sanft in die Seite. »Mistkerl. Ich habe vorgelegt. Und du lässt mich so im Regen stehen! Also los, sag schon.«
Er reckte sich. »Ich glaube, eine Damenumkleidekabine auf der Königsallee in Düsseldorf.«
»Angeber.«
»Du wolltest doch …«
Sie suchte in ihrer Jackentasche nach einer Zigarette. Es war die letzte. Sie teilten sie sich. Es war, als ob beide wussten, dass sie einen schweren Weg vor sich hatten.
»Was machen wir?«, fragte Hannah.
Max stieß den Rauch in die Luft, schaute ihm nach und drehte sich zu ihr. »Wir können aufgeben. Ich fahre nach München, du fliegst mit der Leiche deines Großvaters nach New York. Alles wird gut. Oder …«
»Oder?«
»Oder wir gehen aufs Spielfeld. Wir treten den Herrschaften hier richtig auf die Füße, ohne Rücksicht auf Verluste!«
Er wusste, dass er gerade von der Euphorie, der Wärme, der plötzlichen Nähe zu Hannah in die ganze Sache zurückgedrängt wurde. Aber Quercher wollte dem nicht widerstehen. Er
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