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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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meint ihr, Jungs«, rief sie, an ihre Fische gewandt. »Hat unser alter Madenzüchter tatsächlich so was wie eine Liebschaft mit dieser Tante? … Bitte? … Doch, natürlich habe ich euch von ihr erzählt. Ihr wisst schon, die alte Fregatte mit den platinblonden Haaren und den Boxershorts, die wie eine Krawatte aussahen und … Was? … Tja, was sind Krawatten …« Winnie Heller biss sich auf die Lippen und warf einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr. »Tja, ich schätze, das muss ich euch ein andermal erklären, sonst muss ich meinen Boss warten lassen, und das wird er bestimmt alles andere als spaßig finden … Wie bitte? Was meinst du? … Oh ja, danke, ich euch auch. Und bis später!«
    Sie klopfte zum Abschied ein paarmal gegen das Glas, hinter dem Papageno, ihr blauer Antennenharnischwels, den Grund des Beckens nach Nahrungsresten absuchte. Dann nahm sie ihren Parka vom Haken und verließ die Wohnung.
    2
    »Wie geht es Jessica?«
    Carola Mahler leckte ein wenig Milchschaum von ihrem Löffel und legte diesen anschließend auf ihrer Untertasse ab. »Ach, ich weiß nicht«, antwortete sie. »Sie benimmt sich so komisch, seit das passiert ist.«
    Das, dachte Karen Ringstorff bei sich. Wie unzureichend Worte doch sind! Ein nackter bestimmter Artikel, drei harmlose Buchstaben für etwas, das derart komplex ist.
    »Ich komme im Augenblick einfach nicht an sie ran, verstehst du?«, beklagte sich derweil ihre Freundin. »Dabei dachte ich immer, dass sie mir vertraut.«
    »Lass ihr Zeit.«
    »Das versuche ich ja.« Carola Mahler machte ein unglückliches Gesicht. »Aber heute Morgen zum Beispiel, da steht sie nach dem Frühstück auf und sagt, dass sie mal kurz weg muss. Einfach so.« Ihre Finger spielten gedankenverloren mit den beiden Ringen, die sie am Ringfinger der rechten Hand trug. Erbstücke ihrer verstorbenen Großmutter. »Ich habe sie natürlich gefragt, wohin sie will, aber sie hat nur herumgedruckst und etwas von frischer Luft und Spazierengehen gemurmelt.«
    Karen Ringstorff nickte. Oh ja, dieses Gefühl kannte sie nur zu gut. In den letzten achtundvierzig Stunden hatte sie quasi ständig das Empfinden, nicht genügend Luft zu bekommen. Raus zu müssen. Irgendwohin, wo sie wieder ruhig sein konnte. Wenn mir doch nur ein Ort einfallen würde, an den ich gehen könnte, dachte sie. Irgendein Platz, den ich bislang nie nötig hatte. Ein Hort.
    »Du siehst schlecht aus.«
    Die sachliche Feststellung ihrer Freundin riss sie abrupt in die Gegenwart zurück. »Vielen Dank, sehr charmant«, entgegnete sie ironisch.
    »Du weißt, wie ich das meine.« Carola Mahler schenkte ihrer Freundin ein Lächeln, bevor sie angesichts der drohenden Rührseligkeit eilig das Thema wechselte. »Weißt du eigentlich schon, wie lange die Schule noch geschlossen bleiben wird?«
    Karen Ringstorff schüttelte den Kopf. »Die Direktion ist sich noch nicht sicher, wie sie mit diesem Ausmaß an Angst und Trauer umgehen soll«, sagte sie. »Aber nach allem, was ich so höre, herrscht im Moment die Meinung vor, dass es am besten sei, so schnell wie möglich zur Tagesordnung überzugehen. Allerdings wird es wahrscheinlich ohnehin noch eine ganze Weile dauern, bis die Polizei alle Spuren gesichert hat. Und bis dahin werden sie sich schon auf eine Strategie geeinigt haben. Aber ich …«
    »Ja?«
    »Weißt du, ich bin mir nicht sicher, ob ich noch einmal zurückgehe.«
    »Was?« Carola Mahler starrte ihre Freundin an, fassungslos über die weitreichende Eröffnung, die diese ihr da quasi in einem Nebensatz gemacht hatte. »Du meinst, du weißt nicht, ob du weiter unterrichten willst?«
    Karen Ringstorff blickte an ihr vorbei aus dem Fenster. »Im Grunde wollte ich ja schon immer mal für ein Weilchen ins Ausland. Und der akademische Austauschdienst sucht hin und wieder Leute.« Sie kniff die Augen zusammen. »Ich könnte vielleicht als Lektorin arbeiten.«
    »Aber du kannst doch nicht wegen eines einzigen Schülers …« Carola Mahler unterbrach sich, als sie merkte, was sie da gerade sagen wollte. »Mensch, Karen, dieser Job ist dein Leben«, versuchte sie es anders. »Unterrichten ist alles, was du je wolltest. Zumindest hast du das immer behauptet.«
    »Das dachte ich ja auch.«
    »Und jetzt denkst du anders?«
    »Hast du eigentlich eine Vorstellung davon, wie sich das anfühlt, derart gehasst zu werden?« Karen Ringstorff lachte laut und bitter. »Und das Schlimmste ist, dass ich keine Ahnung hatte. Nicht den geringsten Schimmer.

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