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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Treppenabsatz zuging. Sie musste so schnell wie möglich weg von hier. Raus aus diesem schrecklichen Haus. Fort von den erniedrigenden Erinnerungen, die es barg. Und von der Gefahr, die noch immer von ihm ausging. Von dem Haus und von …
    »Du wolltest doch so unbedingt ein Andenken, oder nicht?«
    Seine Stimme schnitt durch das schummrige Halbdunkel und hätte sie beinahe ins Straucheln gebracht. Die Treppe! Nur noch ein paar lächerliche Stufen!
    »Jessie!«
    Kein Zweifel, das war keine Bitte. Es war ein Befehl. Seine Schritte dicht hinter ihr. Seine Hand auf ihrem Arm. Und warum zur Hölle hatte sie auf einmal so eine Scheißangst vor einem Kerl, der nichts weiter als Lukas Wertheims gesichtsloses Anhängsel war? Jessica Mahler blieb auf der untersten Stufe stehen und drehte sich zu ihm um. »Ich habe dir doch schon gesagt, dass das mit dem Andenken eine blöde Idee gewesen ist«, sagte sie. »Also können wir die Sache bitte einfach vergessen?!«
    Sein Lächeln war ohne Inhalt, als er lässig in die Tasche seiner Jacke griff. »Oh nein«, sagte er. »Ich fürchte, das können wir nicht.«
    Sie starrte die Kassette an und hatte das Gefühl, den Verstand zu verlieren. Das konnte, das durfte einfach nicht wahr sein!
    »Tja, ich schätze, es war das hier, was du gesucht hast, nicht wahr?«
    Dieser elende Mistkerl versuchte doch tatsächlich, wie Lukas zu klingen, dabei war er nichts als ein billiger Abklatsch! Ein Imitator ohne eigene Persönlichkeit. Jessica Mahler spielte mit dem Gedanken, ihm ihre Empfindungen mitten in sein nichtssagendes Gesicht zu schreien, aber irgendetwas hielt sie davon ab. Sie dachte an den Ausdruck in seinen Augen, jene unerwartete Grausamkeit, die urplötzlich in seinem Blick gelegen hatte, und kam zu dem Schluss, dass es nicht besonders klug wäre, ihn zu provozieren. »Ich habe keine Ahnung, wovon du …«
    »Muss ich dir das Ding vielleicht erst vorspielen?«, unterbrach er sie, und die schneidende Schärfe seines Tons ließ sie erzittern.
    Sie schloss die Augen, während der Boden unter ihren Füßen wegzusacken drohte. Als ob sie mitten in einer Grube mit Treibsand stünde. »Nicht nötig«, flüsterte sie, und ihre Stimme wollte ihr kaum gehorchen. »Wie viel?«
    »Was?«
    »Wie viel willst du für dieses Band haben, du dreckiger Wichser?« Sie konnte nicht anders. Sie musste ihn so nennen. Vor Angst. Vor Wut. Vor Ausweglosigkeit.
    Er nahm es mit Humor und lächelte ihr mitten ins Gesicht. »Nun, ich schätze, der Preis ist noch derselbe wie vorher.«
    Irgendwelche blöden Fragen für irgendwelche blöden Deutschtests?! Jessica Mahler schüttelte ungläubig den Kopf. Konnte es wirklich und wahrhaftig möglich sein, dass sich gleich zwei von diesen Kerlen in die Niederungen von Bedrohung und Erpressung begaben, nur um sich nicht die Mühe machen zu müssen, Goethes Geburtstag auswendig zu lernen?
    »Und wenn ich mich weigere?« Die Frage war rein rhetorisch, aber sie wollte trotzdem sehen, wie er darauf reagierte.
    »Und wenn du dich weigerst …«, ahmte er ziemlich geschickt ihren Tonfall nach, während seine langen, kräftigen Finger mit der Kassette spielten. »Oh nein, meine Süße, ich glaube, auf diese Idee würdest du gar nicht erst kommen.«
    Gut. Okay. Geh darauf ein. Zumindest vorläufig. Damit du hier rauskommst. Und Zeit gewinnst. Zeit zum Nachdenken. Irgendwo ist immer ein Ausweg. Das hast du ja bei Lukas gesehen! Jessica Mahler stutzte, als ihr klar wurde, was sie da gerade dachte. Baute sie wirklich darauf, dass ein zweites Mal ein Irrer daherkam und ihr Problem löste, indem er Steven Höhmann eine Kugel in den Kopf schoss? War es allen Ernstes das, worauf sie hoffte? »Also schön«, sagte sie, als ihr einfiel, dass Lukas Wertheims Spezi nach wie vor auf eine Antwort von ihr wartete. »Ich versuch’s, okay?«
    »Es zu versuchen wird leider nicht ausreichen«, bemerkte er sachlich. Dann beugte er sich ganz dicht an ihr Ohr und flüsterte: »Aber du machst das schon. Immerhin bist du doch Tante Karens kleiner Liebling, nicht wahr? Aber vielleicht hast du ja auch Glück, und dein Part erübrigt sich durch diese Amoksache von selbst.«
    Sie zuckte unwillkürlich zusammen. »Was meinst du?«
    »Na ja«, gab er zurück. »Damals in Erfurt haben sie ihr Abi doch angeblich auch ganz ohne Prüfung gekriegt.«
    Sie wollte schon einwenden, dass Robert Steinhäuser ihres Wissens nach mitten in die schriftlichen Abiturarbeiten geplatzt war, doch dann entdeckte sie, dass er

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