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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Gedanken erbitterte Vorwürfe machte, selbst noch am Tag ihres Todes derart leichtsinnig gewesen zu sein. Du verlierst deinen Versicherungsschutz, wenn du nicht ordnungsgemäß abschließt, hatte sie ihr wieder und wieder vorgebetet und dann mit einem verständnislosen Kopfschütteln hinzugefügt: Dabei bist du mit deinem Büro in der Schule doch auch immer so gewissenhaft. Aber Beate Soltau hatte nur entschuldigend mit den Achseln gezuckt und geseufzt: Ich versuche wirklich, immer daran zu denken, aber wenn ich morgens in Eile bin … Und schließlich ist es doch auch ein grundsolides Haus!
    Nicole Herrgen stieß die Tür auf und merkte, wie die vertraute Umgebung sie augenblicklich zu Tränen rührte, obwohl sie in den vergangenen Tagen nicht viel mehr getan hatte, als sich für eben diesen Moment zu wappnen. Den Augenblick, in dem ihr zwangsläufig bewusst werden würde, dass Beate nie mehr zurückkam.
    Stell dir einfach vor, sie sei nur im Urlaub und du sollst ihre Blumen gießen, versuchte sie sich selbst auszutricksen, doch es half nicht viel. Die Wohnung, in der sie in den vergangenen Jahren so oft zu Gast gewesen war, wirkte derart fremd, so kalt und leblos, dass sie zu frieren begann, kaum dass sie die Türschwelle überschritten hatte.
    Es war eine typische Altbauwohnung, ein wenig zu groß und ein wenig zu teuer für eine alleinstehende Schulsekretärin, aber mit ihren hohen Fenstern und dem freundlichen Ausblick in einen sorgfältig begrünten Hinterhof war sie genau das Richtige für eine romantische Seele wie ihre Freundin gewesen. Ganz zu schweigen davon, dass die üppig verzierten Stuckdecken vortrefflich zu den zahllosen Gemälden und Skulpturen und anderen Altertümchen passten, die Beate im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte und die – wie Nicole Herrgen fand – eine Art museale Gemütlichkeit verströmten. Ja, dachte sie, indem sie ihr Spiegelbild in dem großen, barock anmutenden Standspiegel betrachtete, der in der Nische gegenüber der Eingangstür prangte, es ist tatsächlich ein bisschen wie im Museum hier!
    Sie drehte sich nach der Tür um, aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund brachte sie es nicht über sich, sie zuzuziehen.
    Wohnungen, dachte sie, leben allein durch die Menschen, die in ihnen heimisch sind. Und wenn diese Menschen nicht mehr da sind, bleibt nichts zurück als ein paar nackte, seelenlose Zimmer.
    Nach kurzem Zögern entschied sie sich dafür, die Tür angelehnt zu lassen. Immerhin war das hier ein grundsolides Haus, und sie wollte, nein, sie musste das Gefühl haben, dass sie jederzeit flüchten konnte. Fort aus diesen verwaisten Räumen und fort von all den schönen und plötzlich so schmerzvoll gewordenen Erinnerungen, die sie bargen.
    Sie legte das Blumengebinde und den kleinen Stapel Briefe, den sie dem Briefkasten ihrer verstorbenen Freundin entnommen hatte, auf den Schuhschrank neben der Garderobe und fragte sich, wann sie den Mut aufbringen würde, die Wohnung aufzulösen.
    Gestern hatte Beates Anwalt – derselbe, der ihre Freundin vor Jahren bei deren Scheidung vertreten hatte – sie angerufen und in sein Büro im Kurviertel bestellt. Dort hatte er ihr in knappen, schnörkellosen Worten sein Beileid zum tragischen Tod seiner Mandantin ausgesprochen und ihr anschließend eröffnet, dass Beate Soltau in ihrem Testament verfügt habe, dass sie, Nicole Herrgen, sich um die Auflösung ihres Nachlasses kümmern solle. Es tut mir aufrichtig leid, Dich mit diesen Dingen belästigen zu müssen, hatte er aus dem ganz und gar handschriftlich verfassten Schriftstück vorgelesen, aber wie Du weißt, habe ich keine Verwandten mehr, und ich will nicht, dass alles, was mir zu Lebzeiten wichtig war, einfach auf dem Müll landet. Ich bin mir durchaus bewusst, dass ziemlich viel Kitsch dabei ist, und ich erwarte keineswegs von Dir, dass Du all meine Schätze aufbewahrst, aber vielleicht ist ja doch das eine oder andere Stück darunter, an dem Du hängst und das Du gerne zur Erinnerung behalten möchtest. Dr. Wolters hatte beinahe entschuldigend mit den Achseln gezuckt und ihr versichert, dass selbstverständlich keinerlei Verpflichtung bestehe … Und Nicole Herrgen hatte genickt und gesagt, sie werde sich alles in Ruhe ansehen und anschließend ganz sicher die richtigen Entscheidungen treffen. Daraufhin hatte der Anwalt ebenfalls genickt und gesagt, es komme leider immer wieder vor, dass ein Erblasser subjektive Prioritäten mit allgemeingültigen Werten verwechsele, da

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