Querschläger
abmelden, Fernsehzeitung kündigen und Kabelfernsehen??? schrieb. Und vielleicht konnte sie selbst ja doch auch ein oder zwei von den Bildern behalten. Ihre Augen glitten suchend über die Wände. Diese Frauen dort hinten vielleicht, auch wenn die vielleicht doch einen Tick zu farbenfroh waren. Oder die Seerosen in Öl, die entfernt an Monet erinnerten. Nicole Herrgens Blick fiel auf die Tür zum Schlafzimmer, das als einziger der Räume nicht von der Diele, sondern nur vom Wohnraum aus zu begehen war und das über einen heimeligen kleinen Balkon verfügte. Auf jeden Fall würde sie sich ein paar von Beates Kleidern aussuchen! Ihre Freundin hatte eine überaus edle Wildlederjacke besessen, cognacfarben und handschuhweich. Dazu vielleicht die hübschen Jadeohrringe, die sie immer so sehr an Beate bewundert hatte. Und …
Nicole Herrgen hielt erschreckt inne.
Was war das für ein Geräusch?
Kam das aus der Diele?
Oder doch eher von nebenan?
Sie schüttelte den Kopf. Sie kannte Altbauwohnungen wie die ihrer Freundin aus eigener Erfahrung und wusste, dass die Wände in Häusern wie diesem derart solide waren, dass man getrost Partys veranstalten oder seine Kinder Klavier oder Geige lernen lassen konnte, ohne Gefahr zu laufen, die Nachbarn zu behelligen. Und wenn man in einem Haus wie diesem ein Geräusch hörte, dann konnte es eigentlich nur aus der eigenen Wohnung kommen!
Nicole Herrgen erhob sich von ihrem Stuhl und starrte die Wohnzimmertür an, die bis auf einen schmalen Spalt geschlossen war. Dahinter gähnte die Diele, fensterlos und finster.
»Hallo?«, rief sie mit zittriger Stimme. »Ist da jemand?«
Keine Antwort.
»Hallo?«
Nichts.
Nicole Herrgen riss ihre Tasche an sich und kramte im vordersten der beiden Fächer nach ihrem Handy, das ausgeschaltet war wie meistens, wenn sie nicht gerade einen wichtigen Anruf erwartete. Geh an, geh an, geh an, verdammt! Ihre urplötzlich eiskalten Finger rutschten über die Tasten, und endlich flammte auch das Display auf. Kurzwahl 11, die Dienstnummer ihres Mannes. Nimm ab, bitte, bitte, nimm …
»Herrgen.«
»Dieter?«
»Nicole?«, fragte er verwundert. »Ist was passiert?«
»Du, ich bin hier gerade in Beates Wohnung«, flüsterte Nicole Herrgen mit vor Aufregung belegter Stimme. »Und da … Ich glaube, da ist irgendwas.«
»Was um alles in der Welt sollte denn da sein?«, gab Dieter Herrgen mit typisch männlichem Desinteresse zurück. »Und was ist überhaupt los mit dir? Wieso klingst du so komisch?«
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«, fauchte sie ihn an. »Ich habe das Gefühl, dass jemand hier in der Wohnung ist.«
»Du meinst, jemand außer dir?«
»Jaaaa«, flüsterte sie mit beschwörender Intensität. »Ich habe die Tür offen gelassen, als ich herkam, weil … Ach, vergiss es. Jedenfalls hatte ich eben auf einmal den Eindruck, dass da jemand im Flur ist, und …« Sie hielt abermals inne und lauschte wieder in die finstere Diele hinaus. Aber allmählich beruhigten sich ihre Nerven, und sie kam sich nun fast selbst ein wenig albern vor. Noch dazu vor dem Hintergrund, dass es jetzt wieder vollkommen still war. Trotzdem, dachte sie, ich habe etwas gehört, eben. Daran besteht überhaupt kein Zweifel!
»Nicole?«
»Ja doch, ich bin da«, flüsterte sie, indem sie das Handy auf die linke Seite nahm und nach der Blumenvase griff, die auf einem zierlichen Beistelltischchen unter dem Kruzifix stand. »Sag mal, könntest du kurz dranbleiben, während ich nachsehe?«
Die Antwort ihres Mannes auf dieses Ansinnen bestand aus einer männlich-überheblichen Gegenfrage: »Warum musstest du auch die verdammte Tür offen lassen?«
»Mir war …« Nicole Herrgen biss sich auf die Zunge, während sie sich im Stillen für ihre eigene Dummheit verfluchte. »Es ist einfach ein verdammt blödes Gefühl, hier zu sein und zu wissen, dass Beate nicht mehr zurückkommen wird, und da war mir eben wohler, wenn die Tür auf ist, okay?«
Glücklicherweise schien die Nachdrücklichkeit ihres Tonfalls jedweden bissigen Kommentar ihres Mannes im Keim zu ersticken. Stattdessen sagte er nur: »Gut, ich bleib dran. Aber rede mit mir, hörst du? Rede laut vor dich hin, damit derjenige, den du gehört hast, auch ja mitkriegt, dass du telefonierst.«
»Ja, danke«, entgegnete Nicole Herrgen so laut, wie sie konnte, ohne zu schreien. »Das ist wirklich sehr freundlich von Ihnen …« Dann ging sie – das Handy in der einen und die Vase in der anderen Hand – um
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