Querschläger
stimmt schon, ich hatte ein Problem, neulich Nacht. Aber es … Es hat sich inzwischen erledigt, okay? Ich … Es war eine blöde Idee, dich damit zu behelligen.«
»Nein«, sagte er, »war es nicht.«
»Wie auch immer, es ist vorbei.«
Sie konnte ihm ansehen, dass er darauf brannte, mehr zu erfahren, aber er war zu anständig, um irgendwelche Fragen zu stellen. Eine Zurückhaltung, die sie irgendwie rührend fand. Sie dachte an den Morgen, an dem er vor ihrer verschlossenen Wohnungstür gesessen hatte, und fragte sich, wie lange er geblieben wäre, wenn Nikolas Hrubesch nicht ausgerechnet an diesem Tag Amok gelaufen wäre.
»Können wir reden?«, fragte er.
»Worüber?«
»Über die Schrammen in deinem Gesicht.«
Sie schrak zusammen und hob instinktiv wieder die Hand an ihre Wange. »Ich …«, stammelte sie, »… ich hatte keine Ahnung, dass man es sieht.«
»Tut man nicht«, entgegnete Lübke mit einem Lächeln, das wohl beruhigend sein sollte, aber nichtsdestotrotz auch eine große Sorge verriet. »Marie hat mir erzählt, dass du verletzt gewesen bist.«
Marie? Winnie Heller schüttelte verständnislos den Kopf, bis ihr einfiel, dass er sein altes Flittchen meinte. Die Frau in den Paisleyshorts, die ihr die Tür geöffnet hatte. Sie fühlte, wie sie wütend wurde, ohne sagen zu können, was der Grund war. Der Verrat, den Marie Wer-auch-immer an ihr begangen hatte, oder doch der Umstand, dass Lübke nicht allein gewesen war, als sie ihn gebraucht hatte …
»Wie ich schon sagte«, wiederholte sie, eine Spur kühler als zuvor. »Die Sache, wegen der ich dich sprechen wollte, ist vorbei und erledigt. Und das Letzte, was ich jetzt brauchen kann, ist ein alternder John-Wayne-Verschnitt, der herumschmollt, weil ich ihm nicht erlaube, als rächender Geist durch die Lande zu reiten, verstanden?«
»Nein«, sagte er endgültig.
Gott, dieser Mann war ja sooooo stur!
»Lübke«, stöhnte sie, »sei so gut und lass mich einfach in Frieden, ja?« Er wollte etwas einwenden, doch sie unterbrach ihn gleich wieder: »Ja, okay, zugegeben, als ich neulich Nacht bei dir geklingelt habe, steckte ich in Schwierigkeiten – offenbar etwas, wozu ich einen ausgeprägten Hang habe.« Sie lächelte bitter. »Aber ich kann nur wiederholen, dass diese Schwierigkeiten inzwischen der Vergangenheit angehören. Und jetzt möchte ich ganz einfach in die Zukunft schauen, ja?«
Er betrachtete sie mit gerunzelter Stirn, und sie konnte sehen, wie er mit sich kämpfte. »So einfach geht das nicht«, befand er nach einer Weile, und sie hätte am liebsten zu heulen begonnen, weil er sie einfach nicht ausließ. »Verdrängte Schwierigkeiten haben die Angewohnheit, auf uns zurückzufallen, und unglückseligerweise tun sie das immer genau dann, wenn es uns am wenigsten in den Kram passt.«
Herrgott noch mal, Lübke, dachte Winnie Heller, während für einen kurzen Augenblick Dr. Zilchers Gesicht vor ihrem inneren Auge aufblitzte, du redest genau wie mein Therapeut!
»Also wann würde es dir passen?«
»Was?«
»Reden«, antwortete Lübke.
»Ich …« Sie sah wieder in seine hansalbersblauen Augen und dachte, dass es ohnehin keinen Sinn haben würde, sich zu verweigern.
»Wann?«, drängte Lübke.
»Wie wär’s mit April 2017?«, antwortete sie mit einem spöttischen Lächeln.
»Wie wär’s mit heute Abend?«, konterte er. »Ich habe zwar augenblicklich fast rund um die Uhr im Labor zu tun, aber zwischen sechs und neun fahre ich in der Regel nach Hause, um mich ’n bisschen frisch zu machen. Wenn du also vorbeikommen willst …« Er ließ den Satz offen und blickte sie fragend an.
»Also schön, in Gottes Namen«, stöhnte sie, froh, dass er nicht vorgeschlagen hatte, zu ihr zu kommen. Ihn bei sich zu Hause zu haben, in diesem winzigen Raum, in dem man sich im wahrsten Sinne des Wortes zu nahe treten musste – das hätte sie niemals ertragen.
»Dann bis heut’ Abend«, sagte Lübke, als ihnen vom Aufzug aus eine Gruppe von Kollegen entgegen lärmte.
Sie nickte. »Bis dann.«
2
Vor Beate Soltaus Wohnungstür lag ein kleines Gebinde aus weißen Rosen und Freesien, das irgendein Nachbar als Zeichen seiner Trauer dort abgelegt hatte. Nicole Herrgen verspürte einen schmerzhaften Stich in der Magengegend, als sie sich danach bückte und anschließend den Schlüssel zur Wohnung ihrer langjährigen Freundin ins Schloss schob.
Die Tür war nur zugezogen, und Nicole Herrgen ertappte sich dabei, wie sie ihrer verstorbenen Freundin in
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