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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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dürfe sie, was das Wegwerfen betreffe, gar keine Scheu haben, sonst könne ein solcher Auftrag sehr leicht auch zu einer echten Belastung werden.
    Unschlüssig schlenderte Nicole Herrgen die lange Diele entlang und warf einen kurzen Blick in die Küche und anschließend auch in das Badezimmer am Ende des Flurs. Dann öffnete sie die Tür zum Wohnzimmer. Die hohen Wände waren über und über mit Bildern behängt. Große, kleine, solche in wertvoll anmutenden Goldrahmen und andere in schlichtem Holz. Eine Stehlampe im Tiffany-Stil, ein Spiegel mit einer tanzenden Frühlingsgöttin (oder Elfe?] auf dem üppig verzierten Rahmen, dazu mitten im Raum eine angestoßene Nachbildung von Rodins »Kuss« und jede Menge Kleinkram.
    Nicole Herrgen atmete tief durch und dachte an Hilmar Quenstedt, den Frankfurter Galeristen, der ihrer Freundin hin und wieder ein paar von ihren sogenannten Schätzen abgekauft hatte. Doch leider wusste sie nur allzu genau, dass Quenstedt dies mehr aus alter Freundschaft denn aus geschäftlichen Erwägungen heraus getan hatte, weshalb sie sich auch keine großen Hoffnungen machte, dass er ihr behilflich sein würde, dieses Chaos an Bildern und Skulpturen Herr zu werden. Nichtsdestotrotz hatte sie bereits auf der Herfahrt beschlossen, ihr Glück zu versuchen. Wenn Quenstedt sich herabließ, das eine oder andere Stück aus Beates Sammlung zu übernehmen, war es wenigstens in guten Händen, und immerhin hatte Beate ihr erst neulich noch freudestrahlend erzählt, dass es höchste Zeit sei, »wieder einmal meinen lieben Quenstedt« anzurufen. An einem Freitagnachmittag war das gewesen, da war Beate beim Auftragen des Kaffeegeschirrs über die Mappe mit wasserfleckigen Stichen romantischer Rheinansichten gestolpert, die an der Staffelei neben dem Esstisch lehnte. Oje, oje, hatte sie ohne jegliches Schuldbewusstsein gerufen, angesichts des fehlenden Platzes müsste ich mich wirklich mehr zusammenreißen, aber du kennst mich, wenn ich erst mal unterwegs bin …
    Nicole Herrgen schenkte dem monströsen Kruzifix, das in der Ecke über dem Esstisch hing und das sie immer ganz besonders scheußlich gefunden hatte, ein nachsichtiges Lächeln. Wie kann man bloß mit Genuss essen, wenn man ihn da so elend hängen sieht, noch dazu ganz ohne Füße und Haupthaar?, hatte sie oft gefragt, und Beate Soltau hatte dann immer gelacht und gesagt, dieses Empfinden gründe sich einzig und allein auf die Tatsache, dass Nicole Protestantin und als solche in Bezug auf die Leiden des Herrn zweifellos ein bisschen zu zimperlich sei. Oh nein, hatte Nicole Herrgen in solchen Fällen protestiert, es liegt daran, dass der arme Kerl mit diesen Kriegsverletzungen noch viel elender aussieht, als er es ohnehin schon tut, Protestantismus hin oder her. Und meistens hatte Beate ihr dann Wein oder Kaffee oder Tee nachgeschenkt und gekichert: Mag schon sein, aber dafür ist er billig zu haben gewesen!
    Nicole Herrgen ließ von der Betrachtung des Gekreuzigten ab und zog stattdessen den Collegeblock aus der Tasche, den sie mitgebracht hatte, um eine erste grobe Liste des Inventars zu erstellen. Der Gedanke, dass sie vermutlich tatsächlich nicht umhinkommen würde, einen Großteil dieser liebevoll gehüteten Dinge auf den Müll zu werfen, widerstrebte ihr zutiefst, aber andererseits konnte sie sich lebhaft vorstellen, wie ihre Kinder reagierten, wenn sie die Wände ihres Hauses mit Beates Stillleben oder ein paar von diesen überdimensionalen Frauenakten schmückte. Voll ätzend, hatte ihre Tochter über Beate Soltaus Wohnung geurteilt, als sie ihre Mutter einmal dort abgeholt hatte, und Nicole Herrgens Mann pflegte zu sagen: Jeder Mensch hat seinen Tick, gut und schön, aber ich muss schon gestehen, dass ich heilfroh bin, dass meine Frau nur Schuhe sammelt und nicht diesen fürchterlichen Flohmarktkrempel, der nach Dreck und Schimmel stinkt und zu nichts anderem taugt, als den Staub anzuziehen und das Auge des Betrachters zu beleidigen.
    Nicole Herrgen legte ihren Block vor sich auf den Esstisch und notierte: Drei Stillleben in auffälligen Goldrahmen. Drei Landschaftsbilder, Motive unbekannt. Ein Frauenakt, liegend. Fünf Farblithographien, ebenfalls gerahmt. Künstlerstaffelei. Stiche von Rheinansichten. Altes Nähkästchen (Kirschbaum?). Kruzifix, beschädigt.
    Am besten, ich bitte diesen Quenstedt, dass er herkommt und sich aussucht, was er haben will, dachte sie, während sie auf eine andere Seite ihres Blocks Stichpunkte wie: Telekom

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