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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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umfing. Ihre Mutter hatte ihr angeboten, zu Hause zu bleiben. Etwas, das sie seit Jahren nicht getan hatte. Aber sie hatte abgelehnt. Inzwischen war sie das Alleinsein gewohnt, mehr noch, seit Dienstag hatte sie sogar das Gefühl, überhaupt nur richtig denken zu können, wenn niemand da war, der sie störte. Wenn sie Ruhe hatte.
    Da ist etwas, das mir einfallen müsste, dachte sie, indem sie zum wiederholten Mal in die Chipstüte griff, die neben ihr auf dem Sofa lag. Irgendetwas, das ich übersehe. Etwas, das mir entfallen ist, obwohl ich es eigentlich wissen müsste. Etwas Wichtiges.
    Sie schloss die Augen und lauschte ihrem eigenen Kauen, ein Geräusch, das sie irgendwie beruhigend fand. Also einmal mehr alles auf Anfang, dachte sie. Da war Angelas Kotzen. Die Klospülung. Schmierereien an den Wänden. Das Fenster abgedichtet. Gesprungenes Glas. Sie nickte. Dann Fehlzündungen und frenchmanikürte Fingernägel unter einem laufenden Wasserhahn. Und Schüsse. Schreie, aber nicht Angels. Die steht, im Gegenteil, am Waschbecken, unbeweglich wie eine Salzsäule. Dann ein kurzes Aufatmen. Ein Augenblick der Stille. Und danach neue Schritte und …
    Miranda Kerr runzelte die Stirn.
    Neue Schritte und …
    Schritte …
    Ihr Herz schlug schneller. Was stimmte nicht mit diesen zweiten Schritten? Was daran passte nicht ins Bild?
    Wenn da tatsächlich noch jemand anders gewesen wäre, dachte sie. Jemand, der ebenfalls geschossen hat. Ein Komplize oder Helfer …
    Sie stand auf. Gedanken wie die, die ihr augenblicklich durch den Kopf gingen, ließen einfach nicht zu, dass man sitzen blieb. Neben ihr raschelte Plastik zu Boden. Chips, die auf den fleckigen Teppich rieselten. Doch das nahm sie nur am Rande wahr. Sie stolperte auf das nachtschwarze Fenster zu. Hinter der Scheibe pfiff ein frischer Westwind, Herbst im Anzug. Westen, dachte Miranda Kerr. Wer immer Angel erschossen hat, kam aus Westen …
    Der Gedanke wuchs sich aus. Wurde größer und bedrohlicher. Nikolas Hrubesch war nach seinen Schüssen in Raum 304 den Flur entlang gestürmt, er war an ihrer Toilettentür vorbeigelaufen und anschließend über das westliche Treppenhaus in den zweiten Stock hinuntergerannt. So hatte es der Kriminalbeamte dargestellt, und so stand es auch in allen Zeitungen. Eins dieser Blätter hatte sogar einen Plan des Schulgebäudes veröffentlicht, in dem der Weg, den der Amokschütze genommen hatte, präzise eingezeichnet gewesen war. Miranda Kerr presste ihre schweißnasse Stirn gegen die Scheibe, weil sie hoffte, dass die Kühle ihr helfen würde, ihre Gedanken zu ordnen. Nikolas war an Angela und ihr vorbeigelaufen, hatte das westliche Treppenhaus eine Etage unter ihnen wieder verlassen und war dann wild um sich schießend durch den Flur im zweiten Stock gestürmt, geradewegs auf den Durchgang zum Neubau zu. Aber diese Schritte, die sie gehört hatte, die zweiten, jene, die Angela das Leben gekostet hatten … Die waren eindeutig aus Westen gekommen, aus derselben Richtung, in die Nikolas Hrubesch kurz zuvor verschwunden war!
    Das westliche Treppenhaus …
    Folglich müsste Nik nach den Schüssen in 304 und seinem Abgang über das westliche Treppenhaus noch einmal zurückgekommen sein, schlussfolgerte Miranda Kerr mit wachsender Nervosität. Oder aber … Sie leckte sich über die trockenen Lippen, und fast war ihr, als schmecke sie wieder Angela Lukoschs Blut auf der zarten Haut. Oder aber ein anderer war kurz nach Niks Verschwinden aus dem westlichen Treppenhaus gekommen und hatte Angel erschossen.
    Das ist die einzige Möglichkeit, die Sinn macht, dachte sie. Nikolas kann nicht zurückgekommen sein. Weshalb hätte er das tun sollen? Er ist doch auch sonst so zielgerichtet vorgegangen.
    Also ein anderer!
    Ein zweiter Schütze.
    Jemand außer Nik …
    Miranda Kerr strich sich über den Magen, der ihr plötzlich höllisch wehtat, und nur mit äußerster Mühe widerstand sie dem Bedürfnis, zum Couchtisch zurückzukehren und die Chips aufzuklauben, die dort verstreut lagen. Sich vollzustopfen. Die Lücke in sich zu füllen, direkt vom Teppich in den Mund.
    Aber wenn die Schritte, die ich gehört habe, tatsächlich vom westlichen Treppenhaus kamen, überlegte sie, um sich von dem brennenden Bedürfnis nach Essen abzulenken, hätte dann, wer immer da gekommen ist, Nikolas nicht eigentlich begegnen müssen?
    Vi
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