Querschläger
versicherte Silvie ihrem Sonnenschein mit einem unterdrückten Lachen. »Nicht, wenn du nicht willst.«
»Turnen ist blöd«, befand ihre Tochter und angelte sich ein Brötchen aus dem Drahtkorb in der Mitte des Tisches.
»Ist es gar nicht«, protestierte Paola mit beleidigter Miene. »Papa sagt, es ist gut für den Rücken und …«
»Mein Papa hat eine Pistole«, unterbrach Nina ihre Cousine mit unüberhörbarem Stolz in der samtweichen Stimme. »Und jedes Mal, wenn jemand was Böses tut, sperrt er ihn ein, damit er nie wieder jemandem was tun kann.«
Wenn es doch nur so einfach wäre, dachte Verhoeven mit einem Anflug von Melancholie, wobei er automatisch nach seinem Gürtel tastete. Dorthin, wo sein Handy jederzeit mit neuen schlechten Nachrichten aufwarten konnte. In den letzten Tagen verspürte er ein schlechtes Gewissen, sobald er auch nur daran dachte, für ein paar Stunden nach Hause zu fahren. Aber er hatte auch festgestellt, dass diese Phasen etwas in ihm lösten. Wenn ich das nicht hätte, dachte er, diese Augenblicke der Normalität, diese Stunden, in denen die Welt mit all ihren ungelösten Fragen auf ein Kinderlachen zusammenschmilzt, was bliebe dann? Wie lange würde ich durchhalten?
»Mein Vater ist Arzt«, bemerkte seine Schwippnichte unterdessen, indem sie ihre Cousine aus ihren kohlschwarzen Augen anfunkelte. »Und er kann sogar Leute wieder gesund machen, die schon fast tot sind.«
»Das mag schon sein«, entgegnete Verhoeven, wobei er voller Wohlwollen registrierte, dass auch seine Tochter bereits zu einer flammenden Protestrede ansetzte. »Aber soll ich dir mal was verraten? Ich habe eine Kollegin, die ist Gerichtsmedizinerin, und die kann machen, dass die Toten …«
»Hendrik!«, mahnte Silvie, indem sie bedeutsam auf Pierre wies, der sich neben dem Herd niedergelassen hatte und sein Spielzeugauto mit konzentrierter Entschlossenheit über die blank geputzten Kacheln rattern ließ. »Denkst du nicht, dass Dr. Gutzkows Berufsbild für die Ohren eines Zweijährigen ein bisschen zu martialisch klingen könnte? Ich meine, vielleicht sollten wir vorsichtshalber warten, bis er zweieinhalb ist.«
Verhoeven grinste. »Na gut, aber es wird ein toller Teich.«
»Wenn du das sagst«, entgegnete seine Frau mit einem diplomatischen Lächeln.
3
»Ich fürchte, die Zeit des Aus-dem-Hintergrund-Ermittelns ist ein für alle Mal vorbei«, stöhnte Burkhard Hinnrichs, der am Fenster seines Büros stand und in den strömenden Regen hinausblickte. Seit einer Stunde schon goss es wie aus Kübeln, und an den hohen Scheiben liefen ganze Sturzbäche von Regenwasser hinunter. »Es geistern bereits jede Menge Gerüchte durchs Web, von den Schlagzeilen der Boulevardblätter ganz zu schweigen. Dass es einen Hintermann gegeben habe. Dass Hrubesch nicht der Typ gewesen sei. Sogar, dass die Tatwaffen in einem familiären Bezug zu einem anderen Schüler der Schule stehen, haben diese Pressefritzen schon raus.«
»Dann wird uns dieser Strohte-Anwalt vermutlich die Hölle heiß machen«, murmelte Verhoeven.
»Das hat er bereits«, entgegnete Hinnrichs mit jenem Gesichtsausdruck, den er immer aufsetzte, wenn er sich über etwas ärgerte und gleichzeitig keine Möglichkeit sah, der Sache aktiv zu begegnen. »Und er hat sich mit seiner Beschwerde gleich nach ganz oben gewandt. Die Polizei veranstalte eine regelrechte Hexenjagd auf seinen Mandanten, anstatt diesen als das Opfer zu behandeln, das er ganz ohne Frage sei, und so weiter und so fort …« Er machte eine wegwerfende Geste, aber Verhoeven sah deutlich, dass der Leiter des KK11 zutiefst besorgt war. Es hing verdammt viel an diesem Fall. Auch für Hinnrichs ganz persönlich. Nichtsdestotrotz widerstand er bislang der Versuchung, den Druck allzu ungefiltert an seine Beamten weiterzugeben. Etwas, das Verhoeven seinem Boss vor diesem Fall nicht so ohne weiteres zugetraut hätte.
Das Leder von Hinnrichs’ Chefsessel knarzte, als er sich wieder an seinen Schreibtisch setzte. »Wie macht sich die Heller?«
»Gut.«
»Keine Vorbehalte mehr?«
Verhoeven schüttelte in ehrlicher Überzeugung den Kopf. Genau genommen hatte er niemals Vorbehalte gegen Winnie Heller gehabt. Er hatte sich nur einfach nicht vorstellen können, mit jemand anderem als mit Karl Grovius zusammenzuarbeiten.
»Und wie steht es inzwischen mit ihrem Sozialverhalten?«
Verhoeven wusste, dass Winnie Heller seit ihrer Ausbildung in dem Rufstand, nicht besonders verträglich zu sein. Sie hatte
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