einer halb automatischen Glock im Hosenbund dort herumgelaufen sein, oder?«
»Verdammt«, sagte Winnie Heller. »Sie haben recht. Denken Sie, er könnte es gewagt haben, das Ding irgendwie rauszuschmuggeln?«
»Muss er wohl«, entgegnete Verhoeven ohne rechte Überzeugung. »Die Kollegen haben das gesamte Gebäude auf den Kopf gestellt. Da war keine Waffe.«
»Ziemlich dreist für einen, der ansonsten so auf Sicherheit setzt.«
»Unbedingt.«
»Tja, dann fordere ich wohl am besten mal die Protokolle an«, sagte Winnie Heller mit einem unterdrückten Gähnen. »Vielleicht geben sie Aufschluss auf Taschen oder andere Behältnisse im Umfeld unserer Verdächtigen.«
»Tun Sie das.« Verhoeven rieb sich die trockenen Augenwinkel, als das Telefon auf seinem Schreibtisch zu klingeln begann. Er nahm ab und meldete sich.
»Es gibt Neuigkeiten zu Angela Lukoschs zerstochenen Reifen«, meldete Werneuchen, der seit den frühen Morgenstunden unterwegs war. »Die ganze Sache sah mir verdammt nach Racheakt aus, also habe ich mir Angelas Liebhaber und deren familiäres Umfeld noch mal vorgeknöpft.« Er musste einen Augenblick warten, weil der Empfang gestört war. Offenbar telefonierte er vom Auto aus. »Kurz und gut: Nachdem ich ein bisschen eindringlicher geworden bin, hat Katja Scherer, die Witwe von Heribert Scherer, zugegeben, die Reifen zerstochen und auch die anonymen Briefe geschrieben zu haben.«
»Ich denke, sie will nichts von der Affäre ihres Mannes mit Angela gewusst haben«, sagte Verhoeven.
»Ehefrauen wissen immer mehr, als man ihnen zutraut«, sagte Werneuchen.
»Wahrscheinlich«, entgegnete Verhoeven mit einem leisen Lächeln. »Dann können wir die Sache also abhaken.«
»Ja«, knarrte Werneuchens Stimme aus der Leitung. »Diese Katja Scherer ist während unseres Gesprächs vollkommen zusammengebrochen. Sie habe so etwas noch nie getan. In all den Jahren, in denen ihr Mann auch nicht gerade … Na, du weißt schon. Nicht gerade schön und auch nicht unbedingt hilfreich für uns, aber immerhin können wir damit wieder einen …« Ein Funkloch raubte einen Teil seines Satzes. »… als erledigt betrachten.«
»So was nennt man wohl die Politik der kleinen Schritte«, sagte Verhoeven.
»Hauptsache, wir kommen weiter«, stimmte Werneuchen ihm zu.
»Kommen wir denn weiter?«, fragte Verhoeven.
Aus dem Hörer erklang ein tiefer Seufzer. »Wenigstens wissen wir jetzt, dass diese Geschichte keinen Bezug zu unserem Hintermann hat.«
»Ja«, sagte Verhoeven. »Wenigstens das.«
4
Jessica Mahler starrte auf den Absender der E-Mail in ihrem Postfach, bis die Buchstaben unter ihrem Blick zu flackern begannen und sich in einen schwarz-weißen Einheitsbrei verwandelten und schließlich auflösten.
[email protected] Die Betreffzeile der Mail lautete: WICHTIG, und hätte für sich genommen eigentlich schon ausgereicht, um ihre Neugier zu wecken. Nichtsdestotrotz spielte Jessica Mahler einen kurzen Moment lang mit dem Gedanken, die Mail noch auf dem Server zu löschen.
Was konnte Sven Strohte jetzt noch von ihr wollen?
Sie hatten sich getroffen, sie hatte ihn gefragt, er hatte geantwortet, und alles in allem war nicht allzu viel Brauchbares dabei herausgekommen. Zumindest nichts, das ihr im Augenblick weiterhalf. Und doch … Der Zeigefinger ihrer rechten Hand verharrte regungslos über der linken Maustaste, während sich in ihrem Kopf ein alter Verdacht manifestierte. Wahrscheinlich glaubt dieser Blödmann, ich wolle was von ihm, bloß weil ich mich ein paarmal bei ihm gemeldet habe, dachte sie, indem sie misstrauisch die Augen zusammenkniff. Soweit sie wusste, hatte Sven Strohte noch nie eine Freundin gehabt, zumindest hatte sie nie etwas in dieser Richtung mitbekommen, und vielleicht sagte er sich, dass eine Chance wie diese wahrscheinlich nicht so schnell wiederkehren würde.
Andererseits hat er auch nicht den Eindruck gemacht, als ob er es soooo nötig hätte, überlegte Jessica Mahler weiter, indem sie ihre Erinnerungen an das gestrige Treffen nach einem Hinweis auf eine verfängliche Bemerkung oder doch wenigstens einen zweideutigen Blick absuchte. Aber sosehr sie auch nachdachte, ihr fiel nichts ein, das darauf hingedeutet hätte, dass Sven Strohte hinter ihr her war. Und wenn er nicht hinter ihr her war … Sie klickte kurz entschlossen auf den Button E-Mail abholen. Wenn Sven Strohte nicht hinter ihr her war, hatte er ihr ja möglicherweise doch noch etwas zu sagen!
WICHTIG