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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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der Chopin spielt, per se für unfähig halten, einen Mord zu begehen?
    Winnie Heller rieb sich ein paar Reste von Frittierfett von den Fingern, die noch von ihrem Abendessen herrührten. Ein halbes Hähnchen mit Pommes und Mayo, vielleicht nicht gerade gesund, aber – zumindest in Kombination mit einer ordentlichen Portion Koffein – überaus konzentrationsfördernd, wie sie fand. Hinter ihr sprang der Chopin ein weiteres Mal auf Anfang. Wie eins von diesen Gebeten, die immer wieder von vorn beginnen. Ob ihr die Musik irgendwie weiterhalf, konnte sie nicht sagen. Wie kommen Sie darauf, dass Sven Strohte sensibel ist?, murrte Verhoeven in ihrem Kopf. Weil er Klavier spielt? Winnie Heller verzog das Gesicht und dachte an die harschen Urteile, die der junge Pianist über seine Mitschüler gefällt hatte. Sonja Perez war eine ganz passable Geigerin. Lukas Wertheim war ein borniertes Arschloch. Dieses Zeug, das Nik Kunst nannte, war nichts weiter als stumpfsinniger Müll. Dieser Junge ist verdammt überheblich, hatte Verhoeven in einer ihrer Diskussionen gesagt. Aber stimmte das? Waren solche schonungslosen Einschätzungen nicht typisch für einen, der seit seiner frühesten Kindheit jede Woche Stunde um Stunde am Klavier saß? Musiklehrer waren nicht zimperlich, wenn es um Kritik ging. Auch und gerade dann nicht, wenn jemand Talent hatte. Und egal, wie groß die Begabung auch war, Dinge, die man ungern tat, gab es immer. Läufe, die einfach nicht in die Finger wollten. Tonfolgen, die man immer wieder verpatzte, obwohl man sie wieder und wieder geübt hatte. Dagegen half nur eiserne Disziplin. Und disziplinierte Menschen waren immer auch streng, wie Winnie Heller hinlänglich von ihrer Schwester wusste. Streng gegen sich selbst, aber auch gegen andere.
    Chopin hin oder her, dachte sie, dieser Junge weiß mehr, als er zugibt. Aber aus irgendeinem unerfindlichen Grund sagt er nicht, was er weiß. Mit einem Anflug von Unbehagen rief sie sich den Pressespiegel ins Gedächtnis, der jeden Morgen unter den Beamten der Soko verteilt wurde. Eine große Boulevardzeitung hatte berichtet, dass die Tatwaffen einen »familiären Bezug« zu einem anderen Schüler der Schule hätten. Andere spekulierten bereits munter über die Existenz eines Mitwissers. Wenn ich Devil wäre, dachte Winnie Heller, würde ich allmählich anfangen, mir Sorgen zu machen. Und wenn sich dann auch noch herumspricht, dass wir den Hinterbliebenen bestimmter Opfer eine ganze Reihe von Fragen stellen …
    Sie bewegte ihre Zehen, die trotz zwei Paar übereinander gezogener Kuschelsocken allmählich kalt wurden, doch sie brachte es auch noch nicht über sich, die Tür zu schließen. Nach Tagen wie denen, die sie hinter sich hatten, war ein bisschen frische Luft genau das Richtige, um wieder zu Kräften zu kommen.
    Während sie dastand und den Klavierklängen in ihrem Rücken lauschte, schlich sich plötzlich wieder jener seltsame Satz in ihre Gedanken, der sie bereits kurz nach dem Aufwachen heimgesucht hatte. Du hast die Zuordnung vermasselt. Irgendetwas, das du gesehen oder gehört hast, ist falsch eingeordnet worden.
    Falsch eingeordnet …
    Winnie Heller schloss die Augen und dachte an die Menschen, denen sie in den vergangenen Tagen begegnet waren. An die Gespräche, die sie geführt hatten. Satzfetzen trieben hinter ihrer Stirn vorbei wie Treibholz auf einem reißenden Fluss. Informationsbruchstücke. Bilder. Wind. Windschatten. Eine Maske. Ein bekanntes Gesicht. Emotionen. Ein Strategiespiel.
    Eine plötzliche Windböe brandete gegen das Geländer ihres Freisitzes, und Winnie Heller riss die Augen auf.
    »Scheiße noch mal«, rief sie inbrünstig. »Das ist es! Oh Mann, was bin ich doch für eine dämliche Kuh!«
    Sie schleuderte ihre Kuschelsocken in die Ecke und schlüpfte in ihre Schuhe. Dann schaltete sie die Musik aus, knallte die Tür ihres Freisitzes zu und griff nach den Autoschlüsseln, die an einem Haken neben der Tür hingen.
    »Tut mir leid, Jungs«, rief sie ihren Fischen zu. »Aber ich fürchte, ich muss noch mal ins Präsidium.«
    8
    Komm, komm, komm …
    BITTE!
    Komm jemand und erlöse mich. Komm jemand und erlöse mich. Komm jemand und …
    Jessica Mahler kauerte in einem Gebüsch nahe der Hütte, die Arme fest um ihre angezogenen Knie geschlungen, und wartete darauf, dass die Polizei endlich eintraf. Sie hatte den Notruf gewählt, zum Glück war ihr trotz aller Panik die Nummer eingefallen, und der Frau am anderen Ende der Leitung

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