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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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rennt. Seltsam, denkt Miranda Kerr, dass mir das heute zum ersten Mal so richtig bewusst wird! Und sie gäbe irrsinnig viel darum, zu wissen, was Angel treibt. Jetzt, in diesem Augenblick. Vor allem, weil sie urplötzlich das Gefühl hat, dass ihr dieses Wissen irgendwie nützlich sein könnte. Dass es etwas zu entdecken gibt im Leben der gottgleichen Angela, der unangefochtenen Herrscherin über dieses beschissene System. Irgendeine Schwäche, die sich vielleicht gegen Angel verwenden lässt. Etwas, das ihr Leiden beendet …
    Miranda Kerr reibt sich die Hände trocken und sieht Frau Malgorias an.
    »Ja?«
    »Entschuldigung, aber ich müßte mal kurz …«
    Sie hört das Kichern ringsum. Irgendwer macht eine dumme Bemerkung von wegen, dass Frauen immer im Pulk pinkeln. Ausgerechnet ich und Angel!, denkt Miranda Kerr bei sich. Aber sie hat Glück. Frau Malgorias nickt. Sie genießt das Wohlwollen der Lehrerin, weil sie die Einzige ist, die sich für Kurvendiskussion und Wahrscheinlichkeiten erwärmen kann. Zumindest die Einzige in diesem Raum.
    Wie hoch, denkt sie, als sie draußen auf dem Flur steht, ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass ich unsere kleine Miss Perfect beim Kiffen erwische? Oder beim Kotzen? Dem Gedanken wohnt etwas Verlockendes inne. Eine Art Verheißung. Sie, Miranda Kerr, hat die Chance, etwas herauszufinden. Etwas, das sie bislang noch nicht gewusst hat. Etwas, das vielleicht überhaupt noch niemand weiß.
    Vielleicht gelingt es ihr, etwas zu enttarnen.
    Etwas, mit dem sie sich wehren kann. Endlich wehren.
    Etwas, mit dem sie sich Angela Lukosch und ihre Bande ein für alle Mal vom Hals schaffen kann.
    Wäre das nicht …?
    Sie bleibt stehen und sieht sich kurz um.
    Dann geht sie, so leise sie kann, auf die Toilettentür am Ende des Ganges zu.
    Flur vor dem Lehrerzimmer, Erdgeschoss, 11:57 Uhr
    Sie … ist … nicht … da … gewesen …
    Sie ist nicht hier, VERDAMMT. Wo steckt sie?! Seine Blicke fliegen den Flur hinunter. Soll er sie suchen? Wo ZUR HÖLLE steckt diese musische Drecksau?
    Er hat die Naumann gefragt. Vorher. Aber die Naumann hat nur rumgestottert.
    I-i-i-ch … Was wi-wi-ll … woll-ll-llen … BITTE!
    Er hat seine Frage noch einmal wiederholt. Ihr den Namen, der ihn interessiert, mitten in ihr krebsrotes Gesicht geschrien. Zweimal. Dreimal. Weil er nichts gegen sie hat, eigentlich. Sie hat ihm mal Geld für den Bus gegeben. Da hatte er seine Monatskarte vergessen. Aber dieses Mal hat sie nur mit dem Kopf geschüttelt. Geflattert. Herumgezickt. Die Augen wie zwei dunkle Teller.
    N-N-NETEIIIIIIIIIIN.
    Hündisch. Unterwürfig. Widerlich.
    Ich … Bitte nicht. BITTE!
    Worthülsen. Krach. Schrill.
    Keine Geduld mehr …
    Der Raum, das Zimmer nebenan, ist leer gewesen. Er hat sich die Zeit genommen, das zu checken, obwohl er weiß, dass er sich beeilen muss. Müßte. MUSS …
    Wo, verflucht noch mal, steckt diese verfickte SCHLAMPE?
    In seinem Rücken geht eine Tür auf.
    Sekretärin, denkt er und drückt ab. Wieder ab. Noch einmal. Immer wieder. Der Schatten, der alles ist, was er wahrnimmt, sinkt in sich zusammen. Eine seltsam in die Länge gezogene Bewegung. Zäh. Wie in Zeitlupe.
    Das dauert alles viel zu lange, denkt er und schießt noch einmal.
    Danach ist es wieder still.
    Raum 440, Biologiesaal, 4. Stock, 11:59 Uhr
    Was ist das für ein Geräusch? Was sind das für Geräusche? Was … sind … das … für … Geräusche?
    Sie sehen einander über ihre Tische hinweg an, suchen die Antwort auf diese Frage in den Gesichtern der anderen. Die Luft ist urplötzlich dünn wie im Hochgebirge. Oder noch dünner. Kühl und flüssig.
    Von einer Sekunde zur nächsten wagt keiner mehr zu sprechen. Keiner stellt die Frage. Keiner gibt die Antwort. Es ist einfach still. Einen kurzen, magischen Moment lang hält irgendwer der Welt den Mund zu. Kein Verkehrslärm. Kein Gekicher. Kein Geräusch. Dann reißt es. Fetzt. Und sie hören Schreie. Poltern. Lärm. Von wo? Von unten?
    Was ist das?
    Warum?
    Was …?
    Herr Schlicht hat ein weißes Dreieck um den Mund. Der Rest seines Gesichts läuft an, füllt sich mit Blut, rot zunächst, dann lila. Man kann förmlich zugucken. Vor ihm auf dem Tisch lodert blassblau die Flamme des Bunsenbrenners, der irgend etwas erhitzen soll. Was das gewesen ist, haben alle vergessen.
    Jemand springt auf.
    Eine Stimme, woher kommt die?, ruft, dass sie bleiben sollen, wo sie sind.
    Nicht weglaufen, sagt nun auch Herr Schlicht, und seine Stimme ist nichts als ein

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