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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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Ablehnung herauszufordern. Was genau sie sich zuschulden kommen lassen hat. Außer allein zu sein. Verlassen. Wehrlos. Eine leichte Beute.
    Mirja flüstert Angel etwas ins Ohr. Dann sehen beide herüber. Zu ihr.
    Miranda Kerr schließt die Augen und wünscht sich weit fort. Wünscht, dass es irgendeine Möglichkeit gäbe, sein Abitur unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu machen. Im Internet, wo alle schlank sind. Oder morgens in die Schule zu kommen, seine Aufgaben abzuholen und anschließend wieder nach Hause zu gehen. Wenigstens das. Sie ist intelligent. Sie braucht keine Lehrer mehr. Alles, was sie jetzt noch zu lernen hat, kann sie sich selbst erarbeiten. Es würde funktionieren, denkt sie und krampft ihre Finger um den Radiergummi, den sie urplötzlich in der Hand hält, ohne sich erklären können, wie er dort hingekommen ist.
    Sie hat ihre Mutter angefleht, die Schule wechseln zu dürfen, aber ihre Mutter hat »Nein« gesagt. Ein ungewohnt kategorisches Nein. Du kannst auch später nicht immer davonlaufen, sagt sie. Und: Du musst dich zur Wehr setzen. Kämpfen.
    Ausgerechnet du musst das sagen, denkt Miranda Kerr, indem sie die Augen wieder aufschlägt, weil sie Angst hat, dass Frau Malgorias sie sonst für unaufmerksam hält. Du, die du dich jeden Tag von irgendwelchen gestressten Chirurgen runtermachen lässt. Du, die du Kette rauchst, um alle Dienste zu schaffen, die dir deine strunzdumme Vorgesetzte aufbrummt, obwohl die Zahl deiner Überstunden auch so schon ausreichen würde, um für mindestens zwei Jahre in Urlaub zu gehen. Du, die du alles getan hast, um meinen Vater zu halten, und ihn am Ende doch gehen lassen musstest, nachdem du sein Studium finanziert hattest. Was weißt denn ausgerechnet du davon, wie man mit Erniedrigungen umgeht?
    Sie zuckt zusammen, als sie einen Ellbogen in ihrer Seite fühlt. Sebastian Wernecke mit einem neuen Zettel. Schon wieder ein Zettel!
    Miranda Kerr wirft den Radiergummi auf ihr Heft mit den gelösten Aufgaben.
    Irgendwann verlieren sie die Lust …
    Ihr solltet eure Energie lieber für Mathe aufsparen, denkt sie. Dann starrt sie auf die Zeichnung hinunter. Wasser dieses Mal. Stilisierte Wellen. Dazu ein Michelinmännchen im Badeanzug.
    Miranda Kerr hebt den Kopf und lächelt Angela Lukosch an, sie sieht ihr geradewegs in ihre kajalgeschwärzten Augen, auch wenn ihr ganz und gar nach Heulen ist. Immer noch nach Heulen. Immer wieder.
    Das Michelinmännchen ist kurz nach Hannahs Abreise geboren worden. Da ist sie noch auf der Suche gewesen, nach neuen Kontakten, nach einem Menschen, der ihr die verlorene Gesellschaft ersetzen könnte. Verletzbar. Verführbar. Außerdem hatten Angela und sie einander doch schon aus der Mittelstufe gekannt. Damals hatten sie zwar nicht viel miteinander zu tun gehabt, aber Angel hatte auch nie etwas gegen sie unternommen. Oder gesagt. Deshalb hatte sie sich nichts dabei gedacht, als sie die Einladung zu einem Wochenende am Pool der Lukoschs bekam. Nur sie und Angel und ein paar andere Mädchen, die zu Angelas verschworenem Freundeskreis gehören. Eine gemütliche Weiberrunde. Miranda Kerr fühlt, wie ihre Kehle eng wird von Tränen, und ihr wird klar, dass es vor allem Tränen der Wut sind. Nicht Tränen des Schmerzes. Schmerz ist ein Gefühl, das nicht mit Tränen einhergeht. Zumindest bei ihr nicht. Schnell blickt sie wieder auf Mirjas Zeichnung hinunter. Auf die gerechte Strafe für ihre Dummheit. Den Preis dafür, dass sie dazugehören wollte. Ein verdammt hoher Preis, wenn man bedenkt, dass sie seither wie eine Aussätzige behandelt wird.
    Während das Michelinmännchen vor ihren Augen flackert, hört sie das Gekicher, das ihr ständiger Begleiter geworden ist. Sie denkt an die verstummenden Gespräche, an die spöttischen Blicke, die sich auf sie richten, sobald sie einen Klassenraum betritt. Oh ja, Angela Lukosch hat Einfluss. Ihr Wort gilt. Den Mumm, sich gegen sie zu stellen, hat niemand. Nicht hier. Nicht im Biotop dieses Klassenzimmers, in dieser eigenen, abgeschlossenen Welt, deren Gesetze von denen bestimmt werden, die den Eindruck vermitteln, sie wüssten, was angesagt ist. Wenn Angela Lukosch grüne Leggins trägt, tragen morgen zehn andere Mädchen grüne Leggins. Und wenn Angela Lukosch sagt, jemand gehöre nicht mehr dazu, dann ist man draußen. So einfach war das.
    Miranda Kerr sieht kurz zur Wand, wo noch immer die alten Aufgaben flimmern. Die, die sie schon vor einer halben Ewigkeit gelöst hat. Gut so. Okay. Nichts

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