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Querschläger

Querschläger

Titel: Querschläger Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Silvia Roth
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heiseres Kieksen. Bleiben Sie, wo Sie sind.
    Unter seinen Achseln haben sich zwei tellergroße Schweißflecken gebildet. Wann?
    Hat er recht?
    Müsste man nicht vielleicht doch …
    »Bleiben Sie, wo Sie sind«, wiederholt Herr Schlicht. Seine Fingerspitzen sind genauso weiß wie die Haut um seinen Mund. Man kann es sehen, als er nach dem Schlüssel mit dem grünen Anhänger greift, der neben dem Bunsenbrenner auf dem Pult liegt.
    Dann geht er zur Tür, steckt den Schlüssel ins Schloss und dreht ihn zweimal herum.
    Flur vor Raum 304, 3. Stock, 12:01 Uhr
    Frau Malgorias’ Kopf ist geplatzt.
    Lukas Wertheims Kopf ist geplatzt. Exekutiert wie ein gemeiner Verbrecher. Und dann?
    Was dann gewesen ist, kann er nicht sagen.
    Er sieht Schatten. Wieder nur Schatten. Nichts als Schatten.
    Genau wie eben auf dem Gang vor dem Lehrerzimmer, denkt er und wundert sich, weil seine Sinne eigentlich hellwach sind. Aber das Licht, das hinter ihren Köpfen durch die Fenster gefallen ist, war so hell, dass alles, was davor war, verschwommen ist. Konturen. Nichts weiter. Er hat trotzdem draufgehalten. Auf die Konturen geschossen. Auf die Tische. In die Schreie. Mitten in den Lärm, den sie machen. Plötzlich. Den Lärm der Angst, der ihn allmählich zu nerven beginnt.
    Nebenan haben sie inzwischen auch mitgekriegt, dass etwas im Gange ist.
    Er kann sie hören. Sie rennen, als sei der Teufel hinter ihnen her.
    Nein, denkt er. Nicht Devil. Ich bin’s nur. Ich, ich, ICH!
    Er hört ihre polternden Schritte, als er um die Ecke biegt und dabei routiniert das Magazin seiner Glock austauscht. Zwei sind schon leer. Trefferquote unbekannt.
    Im Gehen feuert er weiter. Mehr aus Spaß als gezielt.
    Die Tür hinter ihm bleibt offen, weil keiner von diesen Armleuchtern den Mumm hat, sie zu schließen.
    Ich könnte zurückgehen, denkt er. Jederzeit.
    Ich könnte …
    Toilette 399, 3. Stock, 12:06 Uhr
    Miranda Kerr zittert. Fühlt die kühlen Kacheln unter ihren Handflächen, die immer noch schwitzen, auf allen vieren wie ein Baby. Lauscht. In ihren Ohren hallen die Schüsse wider, die verstummt sind seit …? Sie weiß es nicht. Sie hat nicht die geringste Ahnung, wie lange das, was sie gehört hat, her ist. Das Einzige, was sie weiß, ist, dass etwas Schlimmes geschehen sein muss. Man sollte sich nichts wünschen, denkt sie. Die Wünsche könnten in Erfüllung gehen.
    Der Wasserhahn im Vorraum läuft noch immer. Jetzt, nachdem die Schüsse verstummt sind, kann sie ihn wieder hören.
    Angel!, denkt sie. Angela …
    Sie hat sie gehört. Kotzen, nicht kiffen. Daher also die Traumfigur. Warum sie nie vorher auf die Idee gekommen ist!
    So leise wie möglich hat sie sich in die gegenüberliegende Kabine geschlichen, vorhin. Eben. Wann eigentlich? Jedenfalls hat sie sich in eine der freien Kabinen geschlichen, sich auf den geschlossenen Klodeckel gesetzt und Angela Lukosch beim Kotzen zugehört. Im schummrigen Dämmerlicht hat sie auf irgendwelche obszönen Schmierereien an der Tür gestarrt, ähnlich obszön wie die auf ihren Zetteln, und dabei hat sie nachgedacht. Über Angel und all die anderen Paris-Hilton-Verschnitte, deren größtes Unglück es ist, dass es an deutschen Schulen noch keine Cheerleader gibt. Oder Homecoming Queens. Oder irgendwelche anderen Positionen, für die man sich mit so fragwürdigen Talenten wie langen Haaren oder falschen Titten qualifiziert. Es ist dunkel gewesen, als sie auf dem Klodeckel gesessen und nachgedacht hat, das immerhin weiß sie noch. Außergewöhnlich dunkel sogar. Das einzige Fenster, das zur Straße hinausgeht, scheint einen Sprung zu haben. Der Hausmeister oder irgendwer sonst muss es abgedichtet haben. Aber das ist wahrscheinlich nicht wichtig. Oder doch? Jedenfalls hat sie auf dem Klodeckel gesessen und darüber nachgedacht, wie sich das, was sie da gerade hört, am besten verwenden ließe. Wann sie Angela Lukosch stecken soll, dass sie etwas über sie weiß, das vielleicht kein anderer erfahren soll. Nein, nicht vielleicht, bestimmt sogar. Niemand will das sein, essgestört. Wenn so etwas herauskäme …
    Und dann?
    Sie hat gehört, wie Angela die Spülung betätigt. Ja, genau. Die Spülung. Und als sie den Wasserhahn im Vorraum gehört hat, ist sie aufgestanden.
    Und weiter?
    Sie denkt nach.
    Dann muss es losgegangen sein. Oder?
    Gut, da waren diese Fehlzündungen gewesen. Vorhin. Davor. Vor der Sache mit dem Kotzen. Zumindest hat sie gedacht, dass es Fehlzündungen gewesen sind. Aber vielleicht haben die

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